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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Zaunpfahl dort drüben? Das Ding ist mindestens genauso groß.« Sie justierte noch ein wenig. Jetzt waren die Details besser zu erkennen. Ihr Unbehagen wuchs. »Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Das sieht aus wie ein Wolf oder ein Bär.«
    »Ein Bär.« Die Stimme des Mannes triefte vor Hohn. »Wie soll denn hier ein Bär hinkommen? Ein Wolf ist das aber auch nicht. Viel zu massig. Vielleicht ein verwilderter Hund. Sieh doch mal!«
    Das Tier hatte sich auf die Hinterbeine erhoben und hielt prüfend seine Nase in den Wind. Es war riesig. Der Frau verschlug es die Sprache. Auf einmal kam ihr die Idee mit dem Bären nicht mehr ganz so absurd vor. »Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.« »Hast du dein Pfefferspray dabei?«, flüsterte der Mann. Sie griff in ihre Seitentasche, dann nickte sie. »Trotzdem«, sagte er, »lass uns lieber umkehren. Wir wollen es nicht unnötig provozieren. Vielleicht ist es hungrig.« »Was kann das sein?« Die Frau hatte wieder das Glas gehoben und blickte mit einer Mischung aus Grauen und Neugierde hindurch. »Vielleicht ein Vielfraß«, sagte der Mann. Die Frau wusste, dass das Unsinn war. Vielfraße lebten in Skandinavien und Sibirien, nicht in Deutschland. Abgesehen davon, hatte sie noch nie von solch großen Exemplaren gehört. Aber zu dieser Stunde, an diesem Ort war ihr jede Erklärung recht.
    In diesem Moment stieß das Wesen einen Laut aus. Ein schauerliches schrilles Jaulen. Einmal, zweimal, dreimal, dann ließ es sich wieder auf die Vorderpfoten fallen. Die Frau sah mit Schrecken, dass das Wesen jetzt genau zu ihnen herüberblickte.
    »Es kann uns riechen«, zischte sie. Mit einem Mal spürte sie das unbändige Verlangen, schnell von hier zu verschwinden. In diesem Moment ertönte ein zweites Jaulen von weiter links. Genauso laut, genauso schrill. Eine schwarze Silhouette schob sich aus dem Wald.
    »Scheiße«, murmelte der Mann und zog seine Frau zurück. Langsam, ganz langsam, wichen sie vor den Angreifern zurück, Schritt für Schritt, ohne dabei die beiden Ungetüme aus den Augen zu lassen. Fest in die Augen blicken und langsam zurückweichen, so machte man es bei Bären - jedenfalls hatte die Frau das schon mal irgendwo gelesen. Sie musste ihre ganze Kraft zusammennehmen, um nicht in Panik zu verfallen. Das Grauen umfing sie wie ein kaltes Handtuch. Ihr Atem ging stoßweise, als sie bemerkte, dass die beiden Wesen sich in Bewegung gesetzt hatten. Sie folgten ihnen. »Gib mir das Spray«, sagte der Mann und streckte ungeduldig seine Hand aus. »Schnell!«
    Die Frau fummelte in ihrer Tasche und reichte ihm dann die Dose, die mit einem Mal sehr klein und wirkungslos schien. »Jetzt renn«, sagte der Mann. »Lauf zurück zum Forsthaus und hol Hilfe. Ich werde versuchen, sie eine Weile in Schach zu halten. Die meisten Hunde geben auf, wenn sie eine Ladung von dem Zeug auf die Nase bekommen. Nun mach schon, meisten Hunde geben auf, wenn sie eine Ladung von dem Zeug auf die Nase bekommen. Nun mach schon,
    Die Frau versuchte, ihre Angst hinunterzuschlucken, dann gab sie sich einen Ruck und rannte los.
    Die Reaktion der beiden Wesen ließ nicht lange auf sich warten. Mit weiten Sprüngen begannen sie über das Gras zu hetzen, genau in ihre Richtung. Die Frau drehte sich kurz um und erschrak. Sie hatte so etwas noch nie zuvor gesehen. »Hierher!«, rief ihr Mann. »Kommt hierher! Ich bin hier. Ich warte auf euch!« Er schien sie ablenken zu wollen, doch die Verfolger ließen sich von seinem Geschrei nicht beirren. Ihre Nasen zuckten nicht einmal in seine Richtung. Als ob sie das Ablenkungsmanöver durchschaut hätten, preschten sie in einer auseinandergezogenen Zangenbewegung an ihm vorbei.
    Panik stieg in der Frau auf, schnürte ihr den Hals zu. Sie wollte noch einen Gang zulegen, aber das Fernglas schlug ihr hart vor die Brust. Sie trug zu viel Ballast am Körper. Mit einer abrupten Bewegung riss sie sich die Lederschlaufe über den Kopf und warf das Fernglas seitlich ins hohe Gras, gefolgt von der Umhängetasche. Auch der Parka war nur hinderlich. Also weg damit! Nun ging es besser. Der Boden flog nur so unter ihren Füßen dahin. Keuchend legte sie Meter um Meter zurück, die ganze Strecke über die grasbedeckte Kuppe hinweg. Für ihre einundvierzig Jahre war sie gut in Form. Ein kurzer Blick zurück zeigte ihr jedoch, dass sie ihren Vorsprung nur für kurze Zeit würde halten können. Ihre Verfolger waren viel zu schnell. Was tun? Das Forsthaus schied wegen der zu großen

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