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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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fuhr er fort, Hähne zu polieren und die Gläser seiner Gäste zu füllen. Hannah bedankte sich, trank ihren Cider leer, zahlte und verließ das Hotel.
    Draußen blies ein stürmischer Wind. Die Sonne war mittlerweile verschwunden und hatte einer dunklen Wolkenbank Platz gemacht. Den Kragen ihrer Jacke hochgeschlagen, marschierte sie in die Richtung, die Aidan ihr gewiesen hatte. Die Bewegung tat ihr gut und half ihr, den Kopf wieder freizubekommen. Mit großen Schritten folgte sie dem Trampelpfad nach Duncansby Head und füllte ihre Lungen mit wohlriechender salzgeschwängerter Seeluft. Wer war dieser William McClune? In welcher Beziehung stand er zu der Himmelsscheibe? Würde er sein Geheimnis mit ihr teilen? Und was erwartete er im Gegenzug von ihr? Ales Fragen, auf die sie vermutlich bald eine Antwort bekam.
    Hinter einer heidebewachsenen Kuppe tauchte ein einzelnes Haus auf. Gehöft hätte es wohl besser getroffen, denn tatsächlich handelte es sich um eine Ansammlung kleinerer Gebäude, die sich um das zweistöckige Haupthaus scharten. Lichter brannten im Inneren und verströmten eine warme, einladende Atmosphäre. Das Gebäude wirkte, als stamme es aus dem vorigen Jahrhundert. Nirgendwo waren Autos oder sonstige Errungenschaften der technisierten Zivilisation zu sehen, dafür aber eine mannshohe, archaisch anmutende Steinmauer, die das gesamte Gelände festungsartig umgab. Sie gelangte an eine hölzerne Pforte und sah sich um. Kein Namensschild, keine Klingel, kein Türklopfer. Nur ein schmiedeeiserner Knauf, der vom vielen Salzwasser ganz zerfressen war. Ohne große Hoffnung ergriff sie ihn und drückte dagegen. Die Tür war verschlossen. Und nun? Sie überlegte, ob sie mit der Faust gegen die Tür schlagen sollte, als sie einen Summton vernahm. Einer plötzlichen Eingebung folgend drückte sie gegen die Pforte, und siehe da, sie schwang auf. Sie wurde also beobachtet. Nun gut, das machte alles einfacher. Mit zügigem Schritt durchquerte sie den Innenhof und ging direkt auf das Haupthaus zu. Durch die erleuchteten Fenster konnte sie einen Blick auf Gemälde, Schiffsmodelle und Bücherregale erhaschen. McClune schien ein belesener Mann zu sein.
    Diesmal zögerte sie nicht, sondern klopfte direkt an. Aus dem Inneren des Hauses hörte sie schwere Schritte, dann wurde die Tür geöffnet. Ein Lichtstrahl fiel auf die Türschwelle. Vor dem hellen Hintergrund zeichnete sich der Umriss eines Mannes ab. Klein, korpulent und augenscheinlich recht haarlos. Für einen Moment glaubte Hannah, ihr Herz würde aussetzen. Sie kannte diesen Mann. Sie brauchte nicht mal eine hellere Beleuchtung, um zu erkennen, mit wem sie es zu tun hatte. Zwar war sie ihm noch nicht persönlich begegnet, kannte ihn aber von Fotos und Videoaufzeichnungen. John hatte sie ihr bei Gelegenheit unter dem Siegel der Verschwiegenheit gezeigt. Dies war also der Mann, der so gut wie niemals öffentlich in Erscheinung trat. Einer der reichsten Männer der Erde und jemand, mit dem sich Hannah seit ihrem Abenteuer in der afrikanischen Wüste irgendwie verbunden fühlte. Norman Stromberg.
     
     
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    Guten Abend, Frau Dr. Peters«, empfing Stromberg sie mit tiefer Stimme und annähernd flüssigem Deutsch. »Sie sind zwar etwas zu früh für das Abendessen, aber treten Sie doch ein.«
    Hannah, die sich bemühte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen, fasste sich ein Herz und ging an ihm vorbei ins hellerleuchtete Innere des Herrenhauses. Im Kamin prasselte ein wärmendes Feuer, dessen Flammen sich auf dem glänzenden schwarzen Parkett spiegelten. Die weiß verputzten Wände wurden ebenso wie die niedrig hängende Decke von schwarzen Holzbalken im Fachwerkstil durchzogen, die dem Gebäude Würde und Stabilität verliehen. »Ich war gerade dabei, etwas zu trinken zu holen, als Sie geklopft haben«, sagte der Hausherr. »Wenn Sie mich kurz entschuldigen würden. Ich bin gleich zurück. Sehen Sie sich in der Zwischenzeit ruhig um. Fühlen Sie sich wie zu Hause. Sagt man nicht so in Deutschland?« Er warf ihr einen aufmunternden Blick zu, dann entschwand er durch einen Seitengang. Hannah sah ihm verblüfft hinterher. Erst ließ er sie herein, nur um sie dann hier warten zu lassen? Merkwürdig. Die Situation hatte etwas von absurdem Theater. Aber jetzt, da sie schon mal da war, konnte sie seiner Aufforderung auch genauso gut nachkommen.
    Wohin sie auch blickte, überall Bücherregale, die mit antiquarischen Werken gefüllt waren. In gläsernen

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