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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Vitrinen sah sie steinerne Schrifttafeln, die augenscheinlich aus keltischer Zeit stammten. Es war verblüffend. Ihr Gastgeber hatte allein auf diesen wenigen Quadratmetern Schätze angehäuft, die so manchem Museum zur Ehre gereichen würden. Hannah seufzte. Für einen Moment hätte sie fast vergessen, wem sie hier gegenüberstand. Norman Stromberg war ein Aasgeier, ein Kunsträuber mit weißer Weste, ein Krimineller der neuen Generation. Alle seine Transaktionen liefen völlig legal ab. Niemand hätte ihm jemals irgendwelche kriminellen Machenschaften nachweisen können, dazu war er viel zu gerissen. Tatsache war aber, dass ganze Wagenladungen von Kunstgegenständen, die eigentlich zum Kulturerbe der Menschheit gehörten, aufgrund seines Einflusses für immer von der Bildfläche verschwanden. Schlimmer noch: Ganze Landstriche wurden von ihm aufgekauft und zu Privateigentum erklärt. Höhlen, Täler oder Wüstenebenen, auf denen sich wichtige Fundstätten befanden, wurden mit Hochsicherheitszäunen und Alarmanlagen gespickt und durften nur noch gegen Bezahlung betreten werden. Stromberg gehörte zu einer Handvoll machtbesessener Männer, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Geschichte der Menschheit zu privatisieren und zu monopolisieren. Dass er jetzt persönlich in Erscheinung trat, konnte nur bedeuten, dass er seine Finger nach einem neuen Ziel ausstreckte.
    Sie war etwa bis zur Mitte des Raumes gekommen, als sich eine Seitentür öffnete und eine weitere Person den Raum betrat. John!
    »Hallo Hannah«, sagte er. »Du bist früh dran.« Hannah konnte es nicht fassen, als sie den braungebrannten, gutaussehenden Mann vor sich stehen sah. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, ein breites Lächeln im Gesicht, wirkte er so entspannt wie ein Urlaubsgast. Sie musste zweimal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Zu perplex, um eine vernünftige Antwort zu geben, sagte sie: »Allerdings. Der Flieger hatte Rückenwind.« John lachte und bot ihr einen Platz an. »Ich freue mich, dass du gekommen bist. Um ehrlich zu sein, ich wusste bis zum letzten Moment nicht, ob du dich auf das Spiel einlassen würdest.«
    »Ich auch nicht«, erwiderte sie und setzte sich mit einem skeptischen Lächeln. Mochte John auch noch so charmant sein, es war nicht zu leugnen, dass er ein doppeltes Spiel spielte. In diesem Augenblick kehrte Stromberg zurück. Er trug ein Tablett mit einem Champagnerkühler und einigen Gläsern und stellte es vorsichtig auf einen Tisch in ihrer Nähe. Dann kam er zu ihnen herüber. »Wie ich sehe, hat John Sie bereits emp-fangen«, sagte er. »Es war seine Idee, sich erst mal im Hintergrund zu halten. Er dachte, wenn wir beide an der Tür stünden, würden Sie vielleicht wieder auf dem Absatz kehrtmachen.« Freudestrahlend ergriff er ihre Hand. »Tut mir leid, dass ich Sie eben so habe stehen lassen. Das ist gemeinhin nicht meine Art. Ich freue mich, dass wir uns endlich kennenlernen. Sie ahnen gar nicht, wie sehr ich diesen Augenblick herbeigesehnt habe.«
    »Die Freude ist ganz meinerseits«, gab Hannah zurück. »Die Umstände sind zwar ungewöhnlich, aber damit komme ich klar.«
    »Davon bin ich überzeugt«, sagte ihr Gastgeber. »Champagner?«
    »Gern, Mister McClune.«
    Stromberg lachte herzlich. »Bitte nehmen Sie mir mein kleines Versteckspiel nicht übel.« Er zog eine Flasche Dom Perignon aus dem Kühler und machte sich daran, sie zu entkorken. »Eine schreckliche Unsitte von mir, ich weiß. Was soll ich machen? Ich bin nun mal notorisch paranoid. Die meisten Menschen kennen mich nur unter falschem Namen. Ein Luxus, den ich mit zunehmendem Alter mehr und mehr zu schätzen weiß. Ich hoffe, Sie werden mein kleines Geheimnis nicht ausplaudern?«
    »Wie käme ich dazu«, sagte Hannah. »Die Bewohner von John o'Groats mögen ihren Patron. Besonders natürlich, weil er vorgibt, ein Einheimischer zu sein. Hierzulande scheint man Sie als trinkfreudigen Wohltäter zu kennen.« Mit einem Knall zog Stromberg den Korken aus der Flasche. »Ich sehe, Sie haben mit Aidan geplaudert. Das hätte ich mir denken können. Fabelhafter Bursche, wenn auch ein bisschen schwatzhaft. Ein Guv von echtem Schrot und Korn. Ohne ihn hätte ich das House Hotel wahrscheinlich nicht gekauft.« Er schenkte ein und reichte jedem von ihnen ein Glas. »Auf alte Werte und Tugenden«, sagte er und erhob sein Glas. Hannah, die nicht wusste, was sie von dem Trinkspruch halten sollte, erwiderte den

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