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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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einem gemauerten Gewölbe, wie es in früheren Zeiten zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln gedient haben mochte. Die Steine wirkten, als wären sie Hunderte von Jahren alt. Schwarze Rauchspuren verrieten, dass hier früher Fackeln gebrannt hatten. Mit seinem gestampften Lehmboden hätte das Gewöl-be jeden Weinliebhaber in Verzückung versetzt. Eine elektrische Heizanlage sorgte für angenehme Temperaturen, während eine Leiste mit Halogenstrahlern wohltuende Helligkeit verbreitete. Hannah brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um festzustellen, dass der Raum leer war. Wozu auch immer er genutzt wurde, ein Weinkeller war es sicher nicht. »Verwundert?« Stromberg war Hannahs ratloser Gesichtsausdruck nicht entgangen.
    »Allerdings. Was ist das für ein Raum? Sieht alt aus.« »Sehr alt. Piktisch, um genau zu sein. Meine Experten haben ihn auf etwa dreihundert vor Christus datiert. Wir vermuten, es war eine Art geheimer Versammlungsort, vielleicht ein Tempel. Leider wissen wir viel zu wenig über die Pikten. Vom Baustil her können wir ihn jedoch mit den Brochs gleichsetzen, die hier in Caithness und auf den Orkneys weit verbreitet sind.« »Sie meinen diese eisenzeitlichen Turmanlagen, für die der Norden Schottlands so berühmt ist?«
    »Ganz recht. Wenn Sie interessiert sind, zeige ich Ihnen morgen eine davon. Sie befindet sich ganz in der Nähe und ist wirklich sehenswert.«
    »Sehr gern.«
    »Abgemacht. Wie auch immer: Diese Anlage hier ist anders. Ohne diesen Raum hätte ich das Haus und das Grundstück überhaupt nicht gekauft.« »Was ist so besonders daran? Er ist doch leer.« »Nicht ganz, meine Liebe, nicht ganz. Folgen Sie mir.« Er führte sie in den hinteren Teil des Raumes, dorthin, wo der Lehmboden mit dem Mauerwerk abschloss. Kurz davor, also an der Stelle, wo in einer Kirche üblicherweise der Altar stehen würde, war eine Steintafel in den Boden eingelassen. Hannah hielt den Atem an. Kein Zweifel, dies war der Stein, den sie auf der Fotografie gesehen hatte. Allerdings nur einen kleinen Teil davon, wie sie jetzt feststellte. »Dies ist der Duncansby Head«, entgegnete Stromberg auf ihren fragenden Blick. »Der Kopfstein von Duncansby. Einer der wertvollsten und geheimnisumwittertsten Steine Englands. Die meisten halten ihn für einen Mythos. Nur wenige wissen, dass er tatsächlich existiert.«
    »Der Duncansby Head? Ich dachte, das sei der Name einer benachbarten Küstenformation?«
    »Das denken die meisten. Ehrlich gesagt, wundert es mich nicht, dass Sie davon noch nie etwas gehört haben. Es gibt nur eine Handvoll Menschen, die diesen Stein kennen. Besessene wie ich, die ihr Geheimnis gut bewahren.« Er lächelte versonnen. »Mich würde brennend interessieren, was Sie davon halten.«
    Hannah ging neben der Steinplatte in die Hocke und betrachtete die reliefartigen Strukturen. Kein Zweifel, diese Platte war alt. Älter als alles, was sie bisher an Steinarbeiten in Großbritannien gesehen hatte. Vielleicht sogar älter als die welt-berühmten Felsbilder von Backa oder Löckeberg in Westschweden.
    »Von der Art der Darstellung her würde ich sagen, es handelt sich um eine Steintafel aus der frühen bis mittleren Bronzezeit.« Sie strich mit dem Finger über die rauhe Oberfläche. »Kalkstein, nicht wahr?«
    »Ganz recht. Meine Experten haben die Tafel auf ein Alter von etwa tausendfünfhundert vor Christus datiert. Der Beginn der mittleren Bronzezeit hier auf den Britischen Inseln. Lang vor den Pikten und den Kelten. Über diese Epoche ist in England so gut wie nichts bekannt. Interessanterweise gibt es diese Art von Kalkstein auf den Britischen Inseln nicht. Er wurde importiert - und zwar aus Deutschland.«
    Hannah hob die Augenbrauen. »Sie wollen mich verschaukeln.«
    »Meine Gesteinskundler haben durch vergleichende Analysen festgestellt, dass es sich um eine Sorte von Kalkstein handelt, wie sie im Harz vorkommt. Ähnlich dem Iberger Kalk aus dem Bereich von Bad Grund oder dem Elbingeröder Komplex.« »Erstaunlich.« Hannahs Blick strich über die Gravuren. An einem kleinen Detail blieb er hängen. Einige kleine geritzte Zeichen an der Ober- und Unterkante der Steinplatte. »Hallo, was ist denn das?« Sie fuhr mit den Fingern darüber. Kein Zweifel, die Zeichen waren eingeritzt worden. Sie hob den Kopf.
    »Das ist doch unmöglich.«
    Stromberg sah lächelnd zu ihr herab. »Sagte ich nicht: Willkommen im Wunderland? Und ehe Sie mich danach fragen: Die Tafel ist echt. Sie liegt seit über

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