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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Altar- oder Opferstein. Dort lässt er die Scheibe in eine Vertiefung ein.« Sie zögerte einen Moment. »Ich erkenne noch weitere Vertiefungen. Vier, um genau zu sein. Eine für jede Himmelsrichtung. Das Ganze sieht aus wie ein himmlischer Wagen.«
    »So haben wir das auch interpretiert«, ergänzte Stromberg. »Vermutlich ein Sonnenwagen - ein Lastkarren, der die Sonnenscheibe über das Firmament transportiert.« Hannah lächelte versonnen. »Vier Räder, vier Scheiben. Daher also die Anspielung in Ihrem Brief.« Stromberg nickte. »Sie machen das gut. Nur weiter so.« Sie tippte auf den Kalkstein. »Hier drüben erkenne ich vier Halterungen oder Gestelle, an denen sich Menschen befinden. Sehen aus, als wären sie gefesselt.« »Was sagt Ihnen Ihr Instinkt?« »Ein Menschenopfer.«
    Stromberg antwortete mit einem Nicken. Seine Augen schimmerten geheimnisvoll.
    »Das ist ja sensationell«, sagte sie. »Damit hätten wir die erste verbriefte Darstellung eines Menschenopfers. Unvorstellbar, was für einen Aufruhr das in der Welt der Archäologie auslösen würde. Sie wissen vermutlich, dass die Theorie von Menschenopfern immer noch höchst umstritten ist?« »Natürlich.« Stromberg bereitete Hannahs Verblüffung offen sichtlich höchstes Vergnügen. »Aber Sie haben längst noch nicht alles gesehen.«
    Mit einem Kribbeln im Bauch setzte Hannah die Betrachtung fort. Sie spürte, dass dieser Stein ein Fund war, der weit über die Grenzen der Archäologie hinaus von sich reden machen würde.
    »Der Schamane nimmt eine rituelle Klinge und rammt sie seinem Opfer in die Brust«, sagte sie. »Das Blut strömt in Kanälen entlang des Opfersteins bis zu den Vertiefungen, in die der Schamane die Himmelsscheiben eingelassen hat.« Instinktiv zog sie ihre Finger zurück. Die Bilder ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
    »Was danach folgt, kann ich nur schwer erkennen. Lichtstrahlen scheinen von dem Block auszugehen. Oder sind es Blitze? Sie formen einen Bogen. Ein Bogen aus Licht. Ein Portal.« Überrascht sah sie zu Stromberg auf. »War es nicht das, wovon Sie sprachen - ein Portal?«
    Ihr Gastgeber deutete voller Erregung auf die Steinplatte. »Weiter«, sagte er. »Sehen Sie sich das nächste Bild an.« Hannah wandte sich dem letzten Bild auf der Tafel zu. »Durch das Tor bewegt sich ein überdimensioniertes Geschöpf, eine Art Gottheit oder Dämon. Hundeartige Wesen springen um ihn herum, scheinen vor ihm auf die Knie zu gehen und ihn anzubeten. Lassen Sie mich sehen: Der Dämon hat einen viereckigen, hündischen Schädel, einen schuppigen männlichen Oberkörper, einen Skorpionschwanz und einen schlangenköpfigen Penis, Krallen wie die eines Adlers, Hörner wie ein Ziegenbock und dazu zwei Paar Flügel. Mein Gott, dieses Wesen sieht aus wie der leibhaftige Satan.«
    Sie griff sich an die Brust. Aus den verschütteten Erinnerungen ihres Unterbewusstseins stieg ein Bild auf. Das Fragment eines Traumes.
    Michael. In seinem Haus hatte sie genau diese Szene gesehen. Den Schamanen mit der blutgetränkten Klinge in der Hand und dem geflügelten Teufel im Hintergrund. Was um Himmels willen mochte das bedeuten? »Nun sagen Sie schon - was denken Sie?« Strombergs Ungeduld war mit den Händen zu greifen.
    »Wüsste ich es nicht besser, ich würde behaupten, es handelt sich bei dieser Figur um den obersten aller Winddämonen im alten Babylon. Um Pasusu.«.
     
     
     
     
     
30
     
    John sah Stromberg mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck an. »Ich habe es Ihnen gesagt: Sie ist die Beste.« »Scheint so«, entgegnete ihr Gastgeber mit einem gequälten Lächeln. »Es sieht tatsächlich so aus, als hätten Sie, liebe Frau Peters, herausgefunden, wofür meine Experten zwei Jahre gebraucht haben. Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen.« Hannah schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber ich verstehe nicht ... Pasusu, Mesopotamien, Nordeuropa. Was bedeutet das?«
    »Das bedeutet, dass wir hier den ersten handfesten Beweis haben, dass die Bronze aus dem Zweistromland in unsere Breiten kam. Nicht aus Griechenland, nicht aus Ägypten, aus dem Zweistromland. Aus Babylon.« John tippte auf den Iberger Kalk. »Deutschland befand sich zu dieser Zeit noch auf spätem Steinzeitniveau. Zwar hatten die Menschen gelernt, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, aber sie taten dies mit Werkzeugen aus Stein und Holz. Stell dir vor, Hannah, wie erregend es gewesen sein muss, als die ersten dunkelhäutigen Händler hier eintrafen, in ihren Händen ein

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