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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dreitausend Jahren an diesem Ort. Die umgebenden Bodenschichten sind mit den Mineralien aus dem Kalkstein gesättigt.« »Aber das sieht aus wie Keilschrift.« »So ist es.«
    »Keilschrift, auf einem Stein aus dem Harz, in einem bronzezeitlichen Bau in England, das ist doch unmöglich.« Stromberg lächelte. »Meine Sprachforscher haben die Schrift analysiert. Es handelt sich um eine Form, wie sie in der Gegend um Ninive Verbreitung fand.«
    »Aber wenn der Kalkstein aus dem Harz stammt, dann hieße das ja ...«
    »... dass die Gravuren vermutlich auch dort angefertigt wurden. Oder aber danach - nachdem der Stein nach England transportiert wurde. Wie man es auch dreht und wendet, es bleibt ein außergewöhnlicher Fund.« Ein schelmisches Grinsen trat auf sein Gesicht. »Können Sie sich vorstellen, was das für die britische Nation bedeuten würde, die so sehr auf Geschichte und Traditionen fußt?«
    »Es würde alles auf den Kopf stellen«, sagte Hannah. »Es wäre fast so schlimm wie die Geschichte mit dem König von Stonehenge.«
    John runzelte die Stirn. »Der König von Stonehenge? Wer ist das denn?«
    »Sie kennen den Archer nicht?« Stromberg hob tadelnd die Augenbraue. »John, das ist wirklich unverzeihlich. Es handelt sich dabei um das zweitausendfünfhundert Jahre alte Skelett eines Mannes, das man nur fünf Kilometer von Stonehenge entfernt fand. Damals glaubte man, man habe den Erbauer von Stonehenge vor sich. Der erste Brite - eine Sensation. Bis sich dann herausstellte, dass der Mann in den Alpen, vermutlich in der Schweiz oder Österreich, geboren und aufgewachsen war. Ein herber Schlag für den englischen Nationalstolz.« Hannah nickte. »Um wie viel schlimmer muss sie dann dieser Fund treffen. Die frühesten Briten Iraker? Ich glaube, wenn das rauskommt, befiehlt der Premierminister, den Stöpsel zu ziehen und die Insel im Meer zu versenken.« Ihre Augen glänzten vor Vergnügen. »Den Sumerern gelang vor etwa siebentausend Jahren erstmals der Sprung vom Dorf zur Stadt: In der Hauptstadt Uruk haben damals Tausende von Menschen gelebt. Sie wurde von einer beinahe zehn Kilometer langen Mauer umgeben. Hier erfand man vor über fünftausend Jahren das Rad, das Segel und den Pflug. Die Pyramiden in Ägypten waren noch nicht gebaut, da gelang den Sumerern die großartigste Erfindung von allen: die Schrift.« Sie blickte Stromberg an. »Ich verstehe nicht, wie Sie so einen wichtigen Fund zurückhalten können.«
    »Ich habe meine Gründe«, erwiderte er. »Einer davon ist, dass ich zuerst die Lücke zwischen dieser Tafel und der Himmelsscheibe schließen möchte. Es gibt eine Verbindung, und mein Gespür sagt mir, dass Sie allein fähig sind, diese Aufgabe zu bewältigen.«
    Hannah nahm das Kompliment nur nebenbei zur Kenntnis. Ihre Aufmerksamkeit wurde von der Tafel beansprucht. Ihr Versuch, eine Ordnung in die Bilder zu bekommen, endete mit der Feststellung, dass der Teil, den man ihr als Foto geschickt hatte, der Ausgangspunkt einer Art Bildergeschichte war, und Bildergeschichten übten schon seit jeher eine große Faszination auf sie aus.
    »Dieser Mann hier ...«, sagte sie und tippte dabei auf eine der Figuren, »... scheint eine Art Schamane zu sein. Eine typische bronzezeitliche Erscheinung - zu erkennen an dem Fell und den Hörnern auf seiner Stirn. Daneben ist sein weibliches Pendant, die Hohepriesterin. Sie ist beinahe unbekleidet, bis auf eine seltsame Tiara auf ihrem Kopf. So weit, so gut. Aber jetzt kommt das Seltsame: Im Hintergrund stehen Menschen, die nach Art der Mesopotamier gekleidet sind. Nach Art der Sumerer, Babylonier, Akkadier und Assyrer. Lange Gewänder, aufwendiger Schmuck und konische Kopfbedeckungen.« Sie schüttelte den Kopf. »Eine wirklich interessante Kombination nordischer und orientalischer Symbolik. So etwas habe ich zuvor noch nie gesehen.«
    »Nur weiter«, ermunterte sie Stromberg. »Es gibt noch mehr zu entdecken.«
    »Ich erkenne die Himmelsscheibe«, fuhr Hannah fort. »Sie steht auf einer Art Stele. Ringförmig um sie herum sind Kunstgegenstände verteilt. Teller, Krüge, Statuen und einige Musikinstrumente wie Harfen und Luren. Auch hier wieder die Verbindung zum alten Persien. Dort waren diese Musikinstrumente unter dem Namen Schneckenhörner bekannt.« Ihr Finger glitt über den rauhen Stein. »Der Schamane nimmt die Scheibe herab und trägt sie in Richtung eines Felsens. Es scheint sich um einen Block von beträchtlichen Ausmaßen zu handeln. Vielleicht ein

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