Nebular Sammelband XL 1 - Aufbruch der Menschheit (Episode 1-30 - "Die Große Erschütterung")
Innenwände des Stachels waren grob und rau. Sie wirkten, als ob sich ein Steinmetz mit Hammer und Meißel an ihnen vergangen hätte. Fremdartige Ornamente, die aus dem Material herausgearbeitet worden waren und stellenweise an Hieroglyphen erinnerten, warfen tiefe Schatten.
Schriftzeichen oder Symbole einer fremden Zivilisation
, dachte Vasina.
Was sie wohl erzählen
?
Allerorts ragten klobig wirkende rostbraune Aggregate aus den Wänden. Die unförmigen Blöcke glühten von innen heraus und verbreiteten ein unheimliches Licht. Dann folgten wieder modern anmutende holografische Displays, deren spitz zulaufende Projektoren mit archaisch wirkenden Kultgegenständen geschmückt und behängt waren.
Lange Halsketten aus Worzzähnen und Schamalknochen
, dachte Vasina erstaunt, wusste aber im nächsten Augenblick, dass es sich mit Sicherheit nicht um dieselben Jagdtrophäen handeln konnte, wie sie die Progonauten in ihrer Frühzeit verehrt hatten.
Aber so ähnlich
.
Virtuelle Konsolen, deren Bedienelemente nicht für progonautische Hände konzipiert waren, wechselten sich mit primitiv anmutenden Verbrennungslampen ab, die in kleinen Wandnischen aufgestellt waren und deren grüne Flammen vermutlich von speziellen Ölen oder brennbaren Gasen gespeist wurden.
Exotische Gerüche drangen in Vasinas Nase.
Mein Körperschutzfeld und Dekontaminationschip muss deaktiviert sein. Im Gegensatz zur Oberfläche des Planeten gibt es hier Sauerstoff.
Vasina schwebte durch diese fremden Räume, ohne richtig zu verstehen, was eigentlich mit ihr geschah. Sie nahm die Roboter, welche sie in ihren Tentakeln trugen, gar nicht mehr bewusst zur Kenntnis und fühlte sich wie ein unbeteiligter Beobachter, der kurze Sinneseindrücke aus einem surrealen Traum erhaschen kann.
Was für eine seltsame Umgebung
, dachte Vasina und fühlte sich mit einem Mal schwerelos.
Ich war schon einmal an einem solchen Ort
.
Sie schwebte eine spiralförmige Treppe hinunter und streckte dabei ihre Arme aus, als wolle sie wie ein Vogel durch das Innere des Stachels fliegen. Mein Geist ist frei.
Die Reise durch den Dorn der Cysan endete in der untersten Etage des Gebildes, weit unterhalb der Oberfläche des Planeten. Vasina wurde auf eine kreisrunde und weiche Unterlage gebettet und bewegte sich nicht. Die Progonautin streckte ihre Arme aus und hatte das Bedürfnis, sich ausruhen und entspannen zu müssen. Ihre Augen folgten noch einmal der Treppe, welche sich an den Wänden des Stachels, wie der spiralförmige Gang eines Schneckenhauses entlang zog und nach oben immer mehr verjüngte. Die Etagen über ihr wirkten wie gläserne Räume, durch die ihre Augen hindurch blicken konnten.
Wo ist mein Schildträger geblieben? Was tue ich hier?
Du bist hier, um deinen Geist zu befreien, hörte Vasina eine warme Stimme zu ihr sprechen. Sie konnte nicht klar einordnen, ob diese Worte nur in ihren Gedanken zu hören waren, oder ob sie von jemandem ausgesprochen wurden.
Ich bin allein in diesem Raum. Niemand ist bei mir. Wer bist Du … Wo bist du
, dachte Vasina angespannt.
Warum kontrollierst Du mich mit deinen Gedanken
?
Direkt neben ihrer Liege begann die Luft leicht zu flimmern. Ein fremdartiges Wesen trat aus einem Riss in der dreidimensionalen Realität und wurde für Vasina sichtbar. Die Progonautin hielt den Atem an.
Sie sah einen fleischigen und unförmigen Körper, der leicht pulsierte und auf langen armstarken Tentakeln balancierte. Das unbekannte Wesen fixierte sie mit seinem einzigen überdimensional großen Auge. Der grob würfelförmige Torso des Kopffüßlers erinnerte sie an die Schädelskulpturen auf der Oberfläche des Planeten und war kein angenehmer Anblick. Die Fleischmasse war pockig, mit zahlreichen Runzeln und Narben übersät. Schwärme von kleinen ameisenartigen Tieren krabbelten geschäftig über das Wesen und verschwanden flink in den zahlreichen Körperöffnungen, um aus anderen wieder hervorzukommen. Die Haut des Wesens glänzte rosa und war haarlos. Die ungezählten Öffnungen in dem fleischigen Torso öffneten und schlossen sich rhythmisch, doch es war Vasina unmöglich zu erkennen, welche Funktionen diese Sinnesorgane vollzogen.
Er hat viele Münder und Ohren
, dachte die Progonautin erstaunt.
Ja, ich bin anders als du, zweibeinige Zahnträgerin ohne Tentakel. Aber ich habe dich dennoch sofort wahrgenommen, als mein Gebetstempel aus dem Planetenkern an die Oberfläche aufstieg. Alle Cysan haben dich gespürt und auch die vielen
Weitere Kostenlose Bücher