Necroman
kontrollieren.
Dann sah er die Kiste. Sein Herz hatte schneller geschlagen, aber es beruhigte sich wieder, denn Tim sah, dass sich nichts verändert hatte. Er kannte seine Lieblinge genau, und er wusste auch, wo er sie aufgestellt hatte. Jede Puppe hatte ihren eigenen Platz, natürlich auch der Necroman.
Nichts war anders geworden. Auch die Puppen standen so da, wie sie immer stehen sollten und mussten. Als Tim das sah, da atmete er erleichtert auf, und er schaffte sogar ein Lächeln. Diesmal musste er seinen Eltern recht geben. Bei Tageslicht sah alles ganz anders aus. Da rutschte die Angst von ihm ab, um der Normalität Platz zu schaffen, zu der auch der Mut gehörte.
Ja, Tim sah sich selbst als mutig an, als er auf die Kiste zuging. So war es immer gewesen, wenn er die Puppen in die Hand nahm und von ihrem Aussehen nie genug bekommen konnte. Jedes Detail schaute er sich dann an, aber heute interessierte ihn nur der Necroman.
Der saß in seinem kleinen Sessel. Genau da gehörte er auch hin. Sogar die Sense lehnte wieder an derselben Wand.
Alles war wieder okay.
Tim blieb dicht vor der Kiste stehen, die tatsächlich die Form einer etwas größeren Puppenstube aufwies, dann ging er in die Knie und stützte sich mit beiden Händen auf dem Boden ab. Er wollte und musste etwas versuchen, um wieder so zu werden wie früher. Der Junge gierte nach einem Erfolgserlebnis, alles andere war für ihn zweitrangig geworden, und dieser Gedanke war so stark, dass er es auch schaffte, seinen linken Arm auszustrecken.
Die Hand näherte sich einer bestimmten Figur, und das war der Necroman. Erst wenn Tim ihn anhob, wenn er ihn zwischen den Fingern spürte, dann wusste er, dass er der Sieger war und nicht dieses verdammte Skelett, das er in seinem Traum als Riese erlebt hatte.
Die Fingerkuppen strichen über den Stoff der Kutte, der ein wenig rauh war. Tim zögerte noch, dann griff er zu und hob die Puppe aus dem Sessel. Necroman setzte ihm keinen Widerstand entgegen. Wie auch, er lebte ja nicht - oder…?
Tim hob die Puppe nicht nur an, er holte sie auch aus der Dekoration hervor, rutschte dabei auf den Knien etwas zurück und hielt Necroman so, dass er direkt in seine Skelettfratze hineinschauen konnte. Er kannte jeden Knochen darin. Er kannte die Maulöffnung, er wusste über die leeren Augenhöhlen Bescheid. An dieser Nachbildung war ihm überhaupt nichts fremd. Tim konnte nicht behaupten, dass er die Figur liebte, aber er wäre auch enttäuscht gewesen, wenn sie zwischen all den anderen gefehlt hätte.
Tim lachte die Totenfratze an. Es tat ihm gut, die Puppe zu halten, und er spürte den unwiderstehlichen Drang in sich hochsteigen, mit ihr zu sprechen. Necroman das zu sagen, was er von ihm hielt.
»Du bist nicht wirklich!« stieß er hervor. »Du lebst nicht wirklich. Du bist nur eine Puppe. Eine Nachbildung irgendeiner Gestalt - oder einfach nur ein Phantasieprodukt.«
Eine Antwort erwartete er nicht. Er starrte das Ding in seiner Hand an, ließ eine gewisse Zeit verstreichen, um die Puppe erneut anzusprechen, aber er brachte kein Wort mehr hervor. Plötzlich fing Tim an zu zittern, und dieses Zittern erfasste seinen gesamten Körper.
Er konnte nicht glauben, was er sah, denn auf seine Art hatte ihm Necroman schon eine Antwort gegeben. Sein sonst so starres Knochengesicht schien aufgeweicht zu sein. Wie sonst hätte sich der Mund verziehen und grinsen können?
Tim Baker erstarrte in seiner Haltung. Die Hitze schoss in Wellen durch seinen Körper, und wieder spürte er den verdammten Druck tief in seinem Magen. Er hörte sich selbst jammern, und dabei wurde ihm bewusst, dass er die Augen geschlossen hielt.
Sie lebte. Die Puppe hatte sich bewegt. Tim glaubte nicht an eine Täuschung.
Er schaute wieder hin und sah die gelbliche Skelettfratze, die jetzt wieder bewegungslos geworden war, aber anders aussah als zuvor. Der fleischlose Mund hatte sich verzogen, und zwar zur rechten Seite hin.
Dort klemmte er regelrecht fest, und Tim empfand diesen Ausdruck als wissendes und zugleich böses Grinsen.
Ihn schauderte. Die Erinnerungen der Nacht kehrten wieder zurück, auch wenn sie jetzt, wo das Licht hell war, von ihm nicht als so schlimm empfunden wurden. Angst hatte er trotzdem.
Seine Hand drückte stärker zu, ohne dass er es gewollt hätte. Es war nur ein Reflex gewesen, der aber bewies ihm, dass sich auch der Körper verändert hatte. Das Gebein war nicht mehr so hart. Es hatte sich auf eine bestimmte Art und Weise
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