Necromancer - The Death of the Necromancer
Er zog sich das duftölgetränkte Tuch herunter und tauchte die Finger in die dunkle Substanz, um vorsichtig daran zu schnuppern. »Gut, dass wir Crack die Lampe überlassen haben.« Es war schwer abzuschätzen, wie stark die Dämpfe die Luft in dem Korridor durchdrungen hatten.
»Öl?«
»Petroleum.« Er blickte hinauf zu dem alten Mauerwerk, das in den Fels überging. »Wenn ich mich nicht täusche, sind wir hier unter der Kokerei Viard. Anscheinend gibt es dort in einem Tank ein Leck.«
»Ich finde es beängstigend, dass du so was weißt«, murrte Made line.
»Es bedeutet nur, dass wir uns nicht verlaufen haben. Die Wegbeschreibung, die ich Crack gegeben habe, sollte also stimmen.«
Mühsam schoben sie sich an der Mauer vorbei und stolperten fast über eine breite Treppe, die durch einen Bogengang mit kunstvoll verschnörkelten Inschriften nach unten führte. Aufgrund ihres Gefälles und der tiefhängenden Decke war nicht zu erkennen, was dahinter lag.
»Da unten ist Licht«, sagte Madeline leise. »Fackeln.« Nachdem sie einen Blick ausgetauscht hatten, fügte sie seufzend hinzu: »Was soll’s, jetzt sind wir schon so weit gekommen.«
Nicholas stieg als Erster die zerbrochenen Stufen hinab. Hinter dem Bogengang entdeckte er einen breiten Steinbalkon
mit zerborstener Balustrade. Davor dehnte sich eine schüsselförmige Höhle, die sechs Meter tief hinunterreichte. Sie umfasste eine regelrechte kleine Stadt von freistehenden Grüften und Mausoleen, viele in fantastischer Gestaltung mit Statuen, niedrigen Türmchen und reicher Verzierung. Die von der Stalaktitendecke hängenden Geistflechten tauchten alles in einen jenseitigen Schein, als stünden sie vor einer Behausung der Fay. Aber Madeline hatte recht, es gab auch Fackeln.
Die größte Gruft war die runde in der Mitte. Sie besaß ein Kuppeldach und wirkte wie eine kleine Festung mit Wehrtürmen. Zwischen den Zinnen steckten rauchende Fackeln, die ein flackerndes Flammenlicht auf die bizarre Szenerie warfen. Davor erstreckte sich eineinhalb Meter über dem Boden eine breite, runde Steinestrade. Sie hatte Ähnlichkeit mit den Plattformen, die die Anhänger des Alten Glaubens häufig vor ihren heiligen Stätten tief im Wald oder hoch in den Bergen errichteten.
Nicholas trat fast bis an die Balustrade heran. »Vorsicht«, hauchte Madeline. Mit einem zerstreuten Nicken nahm er ihre Warnung zur Kenntnis. Die Luft war abgestandener als in der oberen Katakombe und mit einem süßlich fauligen Geruch durchsetzt. Er bemerkte, dass der Balkon zu beiden Seiten in eine zum Teil stark verfallene Galerie überging, die sich an der Mauer hinzog und um die gesamte Höhle herumführte. Gegenüber mündete die Galerie in eine Steintreppe, die von einem Einsturz mit Felstrümmern verschüttet war und früher an einem freien Platz vor der Estrade und der Festungsgruft geendet hatte. Wie ein Prozessionsweg. Haben hier unten Begräbnisse stattgefunden? Opferrituale? Er wusste nur wenig über den Alten Glauben.
Das Alter des Ortes war schwer zu schätzen. Vielleicht reichte seine Geschichte sogar zurück bis zur Gründung der ersten Bastion, die die Entstehung Viennes bezeichnete. Nach dem martialischen Stil der Statuen war nicht auszuschließen, dass sie hier die Gräber der ersten Ritter und Kriegsherren von Ile-Rien vor sich hatten.
Plötzlich hörte er hinter sich ein leises Klickern, als wäre ein Stein herabgefallen. Beunruhigt schaute sich Nicholas um. Seit der Begegnung mit den Ghulen hatten sie nur noch ihre eigenen Geräusche vernommen.
Auch Madeline war der Laut nicht entgangen. Sie machte ein, zwei Schritte zur Seite und spähte misstrauisch hinauf zu den Schatten und Hohlräumen in der Höhlenwand.
Nicholas winkte sie nach hinten zur Treppe. Er hatte seinen Revolver, und die Kugel hatte sie bisher gut vor den Ghulen geschützt. Trotzdem beschlich ihn das Gefühl, dass sie sich nun endgültig zu weit vorgewagt hatten.
Am Ende des Balkons bemerkte er auf einmal einen weißlichen Fleck, den er einen Augenblick lang für ein Flechtengewächs oder irgendeinen unterirdischen Parasiten hielt. Dann bewegte sich der Fleck, und er erkannte, dass es eine Hand war.
Er rief Madeline eine Warnung zu, doch es war bereits zu spät. In einer lautlosen Welle strömten sie über den Balkon herauf. Menschen. Nein, keine Menschen. Ihre Gesichter waren ausdruckslos und schlaff, die Haut bleich und stumpf. Von ihren Kleidern waren nur noch Fetzen übrig, und ihre Körper waren
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