Necromancer - The Death of the Necromancer
Silberhaar. Er streckte die Hände aus. »Gib sie mir.«
Trotz der Kälte rann ihr der Schweiß über den Rücken. »Komm und hol sie dir, Arisilde.«
Er zögerte leicht, doch sein gutwilliger, leicht naiver Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Es wäre besser, wenn du sie mir geben würdest, Madeline.«
Abermals spürte sie die warnende Vibration des Apparats, als hätte er eine Ranke nach ihrer Seele ausgestreckt und ihr Innerstes mit Angst erfüllt. Madeline holte tief Atem. Vielleicht lebt die Kugel ja doch. Aber wie konnte ein Gegenstand aus Metall lebendig sein, selbst wenn er ganz von Magie durchdrungen war? Wie sollte er denken? Etwas Lebendiges und Mächtiges hätte nicht die ganze Zeit im Speicher von Coldcourt House herumgelegen, ohne etwas zu tun. Es sei denn, sie brauchte jemanden, der ein Gespür für Magie hatte, um zum Leben zu erwachen. Vielleicht benutzte
sie das Bewusstsein des Menschen, der sie hielt, zum Denken. Vielleicht ist das die Erklärung, warum diese Kugel mir hilft, während die andere Octave gedient hat. Und wenn ich die hier einem echten Zauberer überlasse … »Du hast diese Kugel doch zusammen mit Edouard gebaut, Arisilde. Warum kannst du sie mir dann nicht aus der Hand nehmen?« Warum erkennt sie dich nicht? Warum sagt sie mir, dass ich dich fürchten muss?
Wieder stockte er, dann schüttelte er den Kopf und breitete mit einer Geste der Hilflosigkeit die Arme aus. »Weil ich es war, der das alles getan hat, Made line. Ich habe mich die ganze Zeit nur ohnmächtig gestellt. In Wirklichkkeit habe ich den Sendfluch gerufen, die Wasserspeier auf der Courts Plaza verwandelt und das Ungeheuer ins Gefängnis geschickt. Ich wollte niemandem was zuleide tun, sondern mich nur an den Männern rächen, die Edouard auf dem Gewissen haben. Aber es ist mir nicht gelungen.« In seinen veilchenblauen Augen lag ein gequälter Ausdruck. »Ich glaube, ich bin verrückt geworden. Ein bisschen wenigstens. Vielleicht würde mir der Kontakt mit der Kugel helfen. Sie beherbergt schließlich einen Teil von mir, einen Teil aus der Zeit, als ich noch nicht verrückt war. Wenn ich diesen Teil wieder zu mir nehmen könnte … Aber du musst mir die Kugel geben.«
Made line musterte ihn ausgiebig, dann zog sie die Augenbrauen hoch. »Hältst du eigentlich alle Frauen für blöd oder nur mich?« Er sah aus wie Arisilde, und er hatte Arisildes liebes Lächeln, aber es war nicht Arisilde. Selbst wenn man unterstellte, dass ihm Isham geholfen hatte … Madele hatte Arisilde untersucht, und die Vorstellung, ihre Großmutter könnte derart hinters Licht geführt worden
sein, war einfach lächerlich. Dass Nicholas darauf hereingefallen wäre, war ebenfalls undenkbar. Nicholas traute niemandem. Es hätte sie nicht einmal überrascht, wenn er Arisilde bereits als möglichen Schuldigen betrachtet und die Idee dann als ungerechtfertigt verworfen hätte. Er hatte Constant Macob als ihren Widersacher erkannt, und sie selbst stimmte darin mit ihm überein, weil dieser Schluss einfach zwingend war.
Reglos stand Arisilde vor ihr, dann schien ihr Blick plötzlich zu verschwimmen, und sie sah einen anderen Mann, der ihr noch nie begegnet war. Er war jung und mager mit glattem blondem Haar und fliehendem Kinn. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Jacke und Hose waren schlammverschmiert, und seine Weste war zerrissen.
Verdutzt starrte ihn Madeline an. Wer ist das, verdammt? Vielleicht eins von Macobs Entführungsopfern? Aber nein, sein Anzug war zu fein. Macob hatte nur den Armen und Bettlern nachgestellt, weil er damit rechnete, dass niemand sie vermissen würde. Auf einmal fiel ihr ein, dass Octave zwei Komplizen gehabt hatte, die bisher nicht aufgespürt worden waren. Octaves Kutscher hatte sie vor seinem Tod erwähnt. Wahrscheinlich war das hier einer von diesen beiden. Da kann der Kutscher wohl noch von Glück sagen.
Als er auf sie zukam, trat sie schnell zurück. Hinter sich hörte sie hektisches Getrappel zwischen den Steinen, als die Ghule vor der Kugel davonjagten. Das Gesicht des Mannes war leer wie eine Wand; er wirkte ebenso bewusstlos wie die Wiedergänger. Er holte zu einem Schlag mit der Faust aus, doch sie duckte sich rechtzeitig. Kurz überlegte sie, ob sie ihre Pistole ziehen sollte, aber eigentlich wollte sie hier
lieber keine Schüsse abgeben; sie hatte keine Ahnung, wen oder was sie damit aufscheuchen mochte.
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, klemmte sie sich die Kugel unter den rechten Arm. Sein
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