Necromancer - The Death of the Necromancer
Natur dieser Zurschaustellung angelockt worden waren.
Wieder draußen im Licht des Spätnachmittags und der relativ frischen Straßenluft beschloss Made line, den Streit nicht fortzusetzen. Der Tag war warm geworden, und die Vormittagswolken hatten einem herrlich blauen Himmel Platz gemacht, der ihr nach dem Leichenschauhaus allerdings etwas unpassend erschien. Die Nächte waren bestimmt noch kalt, aber der Schnee gestern Abend war wahrscheinlich der letzte des Winters gewesen, der sich nun dem Ende zuneigte. Sie fragte: »Was waren das für Abdrücke auf den Armen des Toten?«
»Wundgeriebene Stellen von Handschellen. Offensichtlich wurde er zuerst gefangen gehalten und dann getötet.«
»Getötet? Kann er nicht bei einem Unfall ertrunken sein. So was kommt vor.«
»Nicht in diesem Fall. Seine Kehle war aufgerissen. Natürlich könnte es sein, dass das erst nach dem Tod passiert ist, dass irgendein Tier im Fluss über die Leiche hergefallen ist. Halle war aber anderer Meinung. Er hat auf dem Tisch Notizen zu dem Fall hinterlassen - ich konnte einen Blick auf die erste Seite werfen.«
Madeline ließ sich das Gehörte durch den Kopf gehen. Bis zu der Stelle, wo ihre Kutsche stand, mussten sie noch zwei
Straßenzüge weiter. Nicholas hatte vermeiden wollen, dass sie direkt vor dem Leichenschauhaus wartete, damit sie auf keinen Fall mit dem einfachen Arzt und seiner unscheinbaren Krankenschwester in Verbindung gebracht wurde. Jetzt war sie froh darüber. Cyran Halle zu treffen war sicherlich nicht das Gleiche wie eine Begegnung mit Sebastion Ronsarde, aber für ihren Geschmack war sie dem berühmten Inspektor auf diese Weise schon viel zu nah gekommen. »Und glaubst du, der Junge wurde von einem ähnlichen Geschöpf getötet wie dem, das dich im Keller von Mondollot House angefallen hat?«
»Das weiß ich erst, wenn ich die Substanz auf den Kleidern des Toten untersucht und mit der auf meiner Jacke verglichen habe. Wenn nur Arisilde … Aber da lässt sich nichts machen.«
»Ich habe auch bemerkt, dass auf den Kleidern noch was anderes war als Flussschlamm - eine silbrige Schmiere. Wenn diese Substanzen nun identisch sind, was sagt uns das?«
»Fürs Erste noch nicht viel.«
Nicholas lehnte sich zurück und fasste sich in Geduld. Aus der luftigen Höhe der Privatloge sah er die Menschen zu ihren Plätzen strömen. Reynard hatte Verspätung, aber es entsprach dem guten Ton, zu spät im Theater zu erscheinen. Nicholas selbst war es nie gelungen, sich diese Gewohnheit zu eigen zu machen. Er hatte die ersten zwölf Jahre seines Lebens in den Slums von Riverside zugebracht, inmitten von verfallenen Wohnhäusern und menschlichem Elend, bevor ihn Edouard Viller zu sich genommen hatte. Für ihn war das Theater immer noch ein Vergnügen.
Nicholas warf Made line einen Blick zu und lächelte. Sie verfolgte das Geschehen vor der Bühne mit einem edelsteinbesetzten Lorgnon. Vor fünf Jahren hatte sie als Mitglied des Opernchors angefangen und sich beharrlich hochgearbeitet, bis sie letzte Saison im Elegante-Theater eine Hauptrolle erhalten hatte. Nur aufgrund von Nicholas’ Plänen zur Vernichtung Count Montesqs hatte sie für die laufende Spielzeit auf jede Rolle verzichtet.
Angehörige der Halbwelt hatten sich darüber gewundert, wie sich eine junge Schauspielerin mit einem reservierten und fast einsiedlerischen Kunstimporteur einlassen konnte, auch wenn er noch so reich war. Auch Nicholas war sich nicht sicher, wie es dazu gekommen war. Ursprünglich war Made line in seinen Plänen nicht aufgetaucht.
Vor drei Jahren hatte er sie mehrmals in ihrer ersten Rolle als Naive gesehen und einer inneren Regung folgend ihre Bekanntschaft gesucht. Bevor er noch wusste, wie ihm geschah, half er ihr dabei, sich aus einer äußerst unangenehmen Verstrickung mit einem ziemlich hemmungslosen Lord herauszuretten, der gewohnheitsmäßig jungen Schauspielerinnen nachstellte. Letztlich beschränkte sich seine Unterstützung auf eine Beratung in der wenig bekannten Kunst, den gewaltsamen Tod eines Menschen als Selbstmord erscheinen zu lassen. Nachdem er dafür gesorgt hatte, dass die Verletzungen des Lords aussahen, als hätte er sie sich selbst zugefügt, hatte Nicholas Made line mit zu sich nach Hause genommen. Irgendwann während ihrer ersten gemeinsamen Nacht in Coldcourt hatte er schockiert festgestellt, dass er ihr nicht nur von seinem Doppelleben als Donatien erzählt, sondern ihr auch seine ganze Lebensgeschichte gebeichtet
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