Necromancer - The Death of the Necromancer
Piraten von Chaire . »Meine Güte, wie ist das denn hier gelandet …« Nicholas schlug das stark ramponierte Büchlein auf. Erschrocken starrte er auf einen handschriftlichen Eintrag auf dem Deckblatt.
Es war Edouards Schrift. »Wehe, wenn du dieses Buch weggibst.«
Nicholas lächelte. Edouard Viller hatte ihn besser gekannt als jeder andere Mensch.
Wenn Nicholas heute noch am Leben war, dann hatte er das nur einem vergessenen Wohltäter zu verdanken, von dem Edouard erfahren hatte, dass die Präfektur regelmäßig Straßenkinder in Riverside auflas. Als Edouard nach dem Tod seiner Frau auf die Idee kam, dass ihm ein Sohn über seine Einsamkeit hinweghelfen würde, sah er sich in den Zellen von Almsgate nach einem geeigneten Kandidaten um.
Nicholas konnte sich kaum noch an seinen leiblichen Vater und das verfallene, verschuldete Haus seiner Familie erinnern, in dem er die ersten Jahre seiner Kindheit verbracht hatte. Als er sechs war, zog seine Mutter mit ihm nach Vienne und nahm wieder ihren Mädchennamen Valiarde an, weil sie die Slums der großen Stadt der trostlosen Existenz bei den Verwandten ihres Mannes vorzog. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Akkordwäscherin und
-näherin, und wenn sie je gezwungen war, ihr Einkommen durch eine Tätigkeit aufzubessern, die bei den mittellosen
Frauen in Vienne weitverbreitet war, so hatte Nicholas nie etwas davon erfahren. Als er zehn war, starb sie an einem Lungenleiden, das jedes Jahr Hunderte von Armen dahinraffte, die die heruntergekommenen Häuser in Riverside und den anderen Slums bevölkerten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Nicholas schon seine ersten Versuche als Dieb hinter sich. Nach ihrem Tod wurde er zum professionellen Kriminellen.
Zum Glück traf er auf Cusard, der noch vor seinem zweiten Gefängnisaufenthalt dafür sorgte, dass Nicholas seine Fähigkeiten als Taschendieb und Einbrecher so weit entwickelte, dass er den anderen Straßenjungen überlegen war. Mit zwölf war er der Anführer einer Bande, deren Mitglieder er reich gemacht hatte durch gewagte Einbrüche und durch die Zusammenarbeit mit Hehlern statt mit Trödelläden. Dieser Erfolg weckte die Aufmerksamkeit der Präfektur. Mit Hilfe eines neidischen Rivalen stellten ihm die Beamten eine Falle, und Nicholas beendete seine erste illegale Karriere im Dreck der Zellen von Almsgate. Halb zu Tode geprügelt, wartete er darauf, in die Hölle des städtischen Gefängnisses verfrachtet zu werden.
Er beschimpfte seine Wärter in fließendem Aderanisch, das ihm seine Mutter beigebracht hatte. Zu ihrer Zeit war es bei jungen Herren aus besseren Familien Sitte, diese Sprache zu lernen, um ihre Ausbildung am aderanischen Hof vollenden zu können, und sie hatte nie vergessen, dass die Familie seines Vaters trotz ihrer Verarmung und verdienten Vergessenheit adelig war. Nicholas hatte die Erfahrung gemacht, dass er den Leuten auf diese Weise die wüstesten Beleidigungen an den Kopf werfen konnte, ohne verstanden zu werden.
Eines Tages jedoch stand Edouard vor der versperrten Tür und antwortete in derselben Sprache: »Du hast ein loses Mundwerk. Kannst du auch lesen?«
»Ja«, entgegnete Nicholas gereizt.
»In welcher Sprache, Aderanisch oder Rienisch?«
»Beides.«
»Ausgezeichnet«, sagte Edouard zu dem Wärter. »Ich möchte nicht ganz bei null anfangen müssen. Ich nehme ihn mit.« Damit hatte alles begonnen.
Behutsam stellte Nicholas das Kinderbuch ins Regal zurück.
Diesmal betraten sie das Valent House durch die Vordertür. Nicholas war darauf vorbereitet, sich selbst als Makler einer Firma auf der anderen Seite des Flusses und Cusard, Crack und Lamane als Bauhandwerker auszuweisen, die ihn im Hinblick auf nötige Renovierungsarbeiten beraten sollten.
Doch die Straße war verlassen, und niemand belästigte sie mit Fragen. Wahrscheinlich reichte ihr in der Nähe geparkter Handwerkerwagen als Erklärung für die Neugierigen.
Kurz nach Sonnenaufgang war Nicholas ins Gästezimmer gegangen, um Reynard zu wecken. Nachdem er ungeduldig gewartet hatte, bis der Schwall von Flüchen abgeebbt war, hatte ihn Nicholas gebeten, am Abend die Runde durch die Cafés und Clubs zu machen, um herauszufinden, wann Octave seine nächste Séance veranstaltete, und gegebenenfalls vorsichtig auf den Busch zu klopfen, ob der gute Doktor schon einmal einen der von ihm gerufenen Geister nach verlorenen Familienschätzen gefragt hatte. Zu Nicholas’ stillschweigender Erleichterung hatte Madeline
beschlossen,
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