Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
Freunde, und wie alle von Lardis’ Szgany verband sie ihr gemeinsamer Hass auf die Wamphyri.
Gerade weil sie scheinbar so verschieden waren, währte ihre Freundschaft bereits so lange. Auch wenn der alte Lidesci es niemals zugeben würde, machte er sich Andreis Ratschläge oftmals zu Eigen und handelte entsprechend, und obwohl Andrei am übersprudelnden Temperament seines Stammesführers – Lardis neigte dazu, erst etwas zu unternehmen und danach zu über-legen – mitunter verzweifelte, wusste er doch, dass ebendies der Grund dafür war, weshalb die Szgany Lidesci bisher überlebt hatten.
In Lardis’ Adern floss das Blut eines Sehers, irgendein Urahn aus grauer Vorzeit hatte es ihm vererbt. Andrei hatte es auch zuvor schon erlebt – eine unheimliche Fähigkeit, zu wissen, wann etwas nicht stimmte, die Lardis in die Lage versetzte, ein Risiko im Vorhinein richtig einzuschätzen. Aus diesem Grund beschränkte Andrei seine Ratschläge in der Regel auf ein Minimum und gab Lardis meist nur Rückhalt als dessen rechte Hand. Aus demselben Grund hielt Lardis große Stücke auf Andrei, weil dieser mäßigend auf sein allzu hitziges Gemüt einwirkte und ihn schon vor so mancher Unbedachtheit bewahrt hatte. Die beiden waren aufeinander eingespielt, und so hatten die Szgany Lidesci überlebt – zumindest bis zu dieser Nacht ...
Sie sahen auch völlig verschieden aus. Andrei Romani war ein schlanker, sehniger Mann (»nur Haut und Knochen«, wie Lardis ihn gerne aufzog), der kein Gramm Fett am Leib hatte, dafür jedoch kräftige Muskelpakete an seinen Armen und Schultern und an den langen Beinen. Mit den Jahren hatte er einen Großteil seiner Haare eingebüßt, aber sonst kaum etwas. Seine dunklen Szgany-Augen sahen so scharf wie eh und je, und seine Armbrust verfehlte niemals ihr Ziel. Darum befand sich Andrei in diesem Moment auch im Höhleneingang, um seinen Köcher mit Bolzen aufzufüllen. Denn draußen ging der Nahkampf mit unverminderter Härte und Grausamkeit weiter!
Nahkampf!, dachte er, indem er an ein Holzfass voller Eisenholzbolzen nahe bei Lardis’ Befehlsstand eilte. Aye, heutzutage hängt alles von unseren Armbrüsten ab, nun, wo die letzten Schrotpatronen des Herrn des Gartens aufgebraucht sind. Aber obwohl Andreis Schrotflinte – seine »Waffe aus einer anderen Welt« – mittlerweile etwas deplatziert und über zwanzig Jahre alt war, war sie lange Zeit sein ganzer Stolz und seine Freude gewesen, und er hielt sie immer noch gut in Schuss, reinigte, ölte und polierte sie regelmäßig, »nur für den Fall ...«
Und was das »Alter« anging: Nun, Menschen altern wesentlich schneller als derartige Gerätschaften und sind wesentlich schwieriger in Stand zu setzen. Lardis Lidesci konnte ein Lied davon singen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er rheumatische Beschwerden oder »Wachstumsschmerzen«, wie er es nannte, in den Knien und Ellenbogen.
Aber .. was mag er sonst noch haben?, fragte sich Andrei, als er durch den Qualm und den Aufruhr hindurch seinen Anführer erspähte und den Ausdruck auf dessen Gesicht bemerkte ... als habe er einen Geist gesehen!
Andrei ging zu Lardis hinüber, der an seinem Felsblock in der Mitte der Höhle lehnte, ergriff ihn am Arm und blickte ihm fest in die Augen. Ohne ein einziges Wort zu verlieren, bombardierte er ihn mit Fragen. Er machte sich Sorgen um den alten Lidesci und fragte sich, wie es ihm wohl ging, wie es um sein Herz stand, seine Gesundheit, seine seelische Verfassung und sein inneres Gleichgewicht. Das Dumme daran war, das war alles, was er jemals tat, sich Gedanken machen. Denn es war nie Zeit, die Fragen auch tatsächlich zu stellen.
Lardis war nicht sehr groß, breit wie ein Schrank und sah mit seinen langen Armen beinahe aus wie ein Affe. Sein strähniges schwarzes Haar umrahmte ein wettergegerbtes Gesicht mit einer einstmals gebrochenen Nase über einem Mund, in dem mehrere der stark mitgenommenen schiefen Zähne fehlten. Unter den buschigen Brauen zeugten Lardis’ braune Augen von der Gewandtheit seines Verstandes, und trotz seiner untersetzten Gestalt, seines Rheumatismus und der unleugbaren Tatsache, dass er mit den Jahren nicht jünger wurde, hatte er doch nichts von seiner körperlichen Behändigkeit verloren.
Denn nun war er tatsächlich alt, zumindest begann man ihm sein Alter anzusehen. Zwei Drittel seines Lebens hatte er im Kampf gegen die Wamphyri verbracht, und dies ließ jeden Mann vorzeitig altern. Noch ein, zwei Jahre, und sein
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