Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
das?«
»Wratha ist keine Närrin! Sie kennt sich hier aus, wir nicht! Mittlerweile dürfte sie aller Wahrscheinlichkeit nach wissen, wie viele wir sind. Die Anzahl ihrer Truppen dagegen ist uns unbekannt. Sie weiß, wie es auf der Sonnseite aussieht, kennt ihre Wälder und die besten Jagdgründe, wir hingegen nicht – noch nicht! Vor ihr liegt die ganze lange Nacht, über vierzig Stunden, ehe sie – oder vielmehr wir – Zuflucht im Schatten suchen müssen.«
»Aber das ist nun einmal so«, warf Vormulac ein.
»Sie hat ihre Zuflucht und wir nicht! Wo gedenkst du deine Armee unterzubringen, wenn die Sonne aufgeht?« Devetakis Logik hatte er nichts entgegenzusetzen. Sie war schon immer gut gewesen, wenn es um Wortspiele ging ... ums Taktieren, wie Vormulac nun begriff.
Knurrend kratzte er sich den Bart. »Früher einmal, es ist lange her«, sagte er, »da hatte ich eine Frau. Ich verlor sie durch eine heimtückische Krankheit. Seither habe ich genug von der Liebe. Nun ja, aber obwohl ich ein Anhänger Turgo Zoltes bin, habe ich von Zeit zu Zeit dennoch meine ... Bedürfnisse, du verstehst? Doch eines sage ich dir, Devetaki Schädellarve, sollte ich je wieder eine Frau zum Weib nehmen wollen – was nicht der Fall ist –, dann würde ich dich wählen!«
»Weil ich so klug bin?«
»Zum einen schon ... aber auch weil du bereits eine Wamphyri bist und nicht gezwungen wärst, mithilfe meines Leichnams aufzusteigen! Und, aye, klug bist du gewiss. Anstatt mir die Bedeutung dessen, was du gesagt hast, lange zu erklären und mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe, wartest du darauf, dass ich dich darum bitte.«
Sie lächelte, sodass Maske und Gesicht einander entsprachen. »Ich möchte eben das Gefühl haben, dass man mich auch schätzt.« Etwas ernster fuhr sie fort: »Wir sind nicht besonders gut darin, nicht wahr?«
»Hä? Worin?« Er trat mit ihr hinaus in die Nacht, wo sie am Rand des Lavastroms stehen blieben, der sich wie eine erstarrte Kaskade von Wasserfällen bis hinab zur Findlingsebene erstreckte.
»Im Kriegführen!«
Vormulac betrachtete sie im Glanz der Sterne. »Weil wir vergessen haben, wie es geht«, sagte er, düster wie eh und je. »Seit Jahrtausenden befolgen wir Turgo Zoltes Regeln, weil wir dazu gezwungen waren. Im Vergleich zu den riesigen Gebieten hier im Westen, die wir ja gerade erst erschließen, sind unsere Heimstatt in Turgosheim und unsere eigene Sonnseite gar nicht der Rede wert. Hätten wir alle Szgany ausgerottet, um Nachschub für unsere Kriege zu gewinnen, hätten wir uns zuletzt gegenseitig aufgefressen. Das hätte das Ende der Wamphyri bedeutet, aye! Also unterdrückten wir unsere Parasiten, so gut wir konnten, und wurden ... schwach! Schwach, was Blut und Krieg angeht, die natürlichen Wesenszüge des Großen Vampirs.«
Sie nickte. »Willst du damit andeuten, dass Wratha, unter uns gesagt, Recht hatte, aus Turgosheim zu fliehen?«
Erneut bedachte er sie mit einem ernsten Blick. »Unter uns gesagt, Devetaki, die Szgany unserer Sonnseite sind degeneriert! Ihr Blut ist schlecht. Schon vor langer, langer Zeit haben wir ihnen jeden Kampfgeist genommen und alles, was gut an ihnen war. Zu Turgos Zeiten lebten wir vom Blut echter Männer – Männer, die nicht anders waren als Turgo selbst und sich wehrten! Doch nun sind wir in Turgosheim wie Flöhe auf dem Rücken eines Hundes geworden – nur dass der Hund die Räude hat. Das Blut ist das Leben. Was aber, wenn das Blut verdorben ist ...?«
»Und nun?« Devetaki packte ihn am Arm, ihre schlanken Finger gruben sich in sein graues Fleisch. »Ist es bereits zu spät, oder können wir den Prozess noch umkehren? Wenn wir diesen Krieg gewinnen – Wratha besiegen und diese neue Stern- und Sonnseite erobern, können wir die Fäulnis dann aufhalten?«
Sein Blick wurde noch eindringlicher. »Die Fäulnis? Heißt das, du spürst es auch? Ich dachte, ich wäre der Einzige. Ich habe immer geglaubt, nur ich merke es, der trübsinnige alte Vormulac Ohneschlaf.«
Ein Schauder lief ihr über den Rücken. »Oh nein, mein Lord! Auch ich spüre es – schon seit Jahren! Und ich habe gesehen, wie es zum Ausdruck kommt: in Autismen, Animalismen, Mutationen und Wahnsinn. Kurz, der Niedergang der Wamphyri ist mir nicht entgangen. Wusstest du eigentlich, dass ich Wratha einstmals durchaus mochte? Nun, ich glaube, ich mag sie immer noch! Weil sie auf eine Art, die kaum einer von uns je erreichen wird, ›rein‹ ist. Rein, mutig und sie selbst! Mehr
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