Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
...«
»Nestor ...!«
» Tu es ... jetzt!« Unter seiner Decke begann Nestor sich hin und her zu winden und verfiel in heftige Zuckungen.
Nathan hob ihn auf und brachte ihn weg – zehntausend Meilen nach Süden in einen strahlend blauen Himmel hoch über der sich endlos erstreckenden Glutwüste! Am südlichen Horizont loderte wie das Herdfeuer einer fremdartigen Gottheit ein goldener Feuerball.
»Es ist vollbracht!« Nathans Stimme verlor sich im Rauschen des Windes, während sie wie Steine dem Boden entgegenstürzten und er Nestor von sich stieß.
So sei es! , sagte dieser.
Nathan ließ sich durch ein Tor fallen und tauchte unten auf der Erde im Schatten eines von der sengenden Sonne beschienenen Felsvorsprungs auf, von wo aus er Nestors Sturz verfolgte. Kometengleich, einen grellen Feuerschweif hinter sich herziehend, der jedoch zusehends dunkler wurde, raste dieser dem Boden entgegen. Er flammte kurz auf, dann war er verschwunden.
Die Decke flatterte noch einen Augenblick lang wie ein sonderbarer, vom Wahnsinn gepackter Vogel im Wind, ehe sie zur Erde sank.
Doch dann ...
... blitzte etwas auf! Ein goldener Pfeil schoss aus dem Himmel herab – er stammte von Nestor! Nathan hatte schon einmal Ähnliches erlebt. Der Pfeil kam geradewegs auf ihn zu, fand sein Ziel und drang sanft und lautlos in den Kopf des Necroscopen ein ...
Intuition! Der Inbegriff der Eingebung! Das intuitive Wissen seines Vaters, mit dem Harry Keogh sowohl die Rechenkunst als auch das Möbiuskontinuum meisterlich beherrscht hatte! Es war alles, was Nathan an persönlichen Voraussetzungen bisher nicht gehabt hatte und worüber er von Anfang an hätte verfügen können – hätte Nestor es nicht weitaus dringender gebraucht als er!
Instinktiv erkannte er dies, und mit einem Mal verstand er nahezu alles, worüber er sich bislang verzweifelt den Kopf zerbrochen hatte. Nestor war nicht der Stärkere gewesen, sondern der Schwächere, und der Pfeil hatte dies instinktiv ... »gewusst«! Darum war er an Harrys Todestag in Nestor eingedrungen. Wahrscheinlich hatte er sogar um Nestors düstere, gequälte Zukunft gewusst, aber als Nachkomme des Necroscopen, in dem dieser »weiterlebte«, musste er ihm eine Chance geben. Nur war Nestor eben nicht wie Harry oder Nathan gewesen, sondern eine eigenständige Persönlichkeit. Oder hatte er lediglich die dunkle Seite seines Vaters geerbt? Wie dem auch sein mochte, er war Nathans Gegenstück, und auch nachdem er sich anders entschieden hatte, gab es kein Zurück mehr. Der Pfeil steckte in ihm und musste es mit ihm durchstehen.
Von Kindheit an hatte Nestor sich instinktiv zu den Wamphyri hingezogen gefühlt. Darum wäre er mit Sicherheit auch ohne den Pfeil eines Tages zum Lord aufgestiegen; mit dem Pfeil allerdings ... kein Wunder, dass er so rasch erwacht und seine Verwandlung so gründlich vonstattengegangen war.
Nun begriff Nathan. Nun verstand er den Sinn dieser Bruchstücke, dieser Fragmente seines Vaters. Sie sollten ihn und seinen Bruder auf ihrem Lebensweg leiten. Doch das dazu notwenige Wissen war bereits in ihm, er hatte es nicht gebraucht – erst damals, am Mittelmeer, als ihm zu guter Letzt doch noch eine Tür geöffnet wurde. Die ganze Zeit über hatte sein Pfeil, begraben im Innern einer toten Maschine in der Zentrale des E-Dezernats, nur gewartet, bereit, in dem Augenblick, wo er ihn am nötigsten brauchte, zum Leben zu erwachen.
Aber was wussten jene körperlosen Bewohner der Möbiusraumzeit, jene Überreste des Necroscopen Harry Keogh, von der Zukunft – wie viel davon war ihnen bekannt? Oder standen selbst sie vor einem Rätsel? War ihnen ein flüchtiger Blick auf Nestors blauen Lebensfaden gestattet gewesen und hatten sie gesehen, wie er zu Scharlach wurde? »Instinktiv« wusste Nathan, dass es sich so verhielt und dass sie wohl auch über das Ende Bescheid gewusst hatten, dass, wenn es so weit war, Nestors bislang vergeudeter Pfeil ... auf ihn übergehen würde!
Und jetzt war es so weit. Für die Sonn- und Sternseite hatte die Stunde der höchsten Not geschlagen!
Nackt trat er aus dem Schatten des Felsens und spürte die Hitze der Wüste unter seinen Füßen. Den Kopf voller neuer Gedanken, beschwor er ein Möbiustor herauf und kehrte zurück in die Nacht ...
Nathan schirmte seinen Geist ab, so gut es ging, und begab sich zur Stätte-unter-den-gelben-Klippen, wo er Atwei auf sich aufmerksam machte, die ihm neue Kleidungsstücke besorgte. Er wagte es nicht zu bleiben, noch
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