Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
gewordenen Uralten der Thyre wussten, dass er zurück war; denn unter den Toten des Wüstenvolkes war er genauso zur Legende geworden wie einst sein Vater für die Große Mehrheit einer anderen Welt in einer völlig anders gearteten Dimension. Nathan, der Licht in ihre Dunkelheit gebracht, ihre Werke weitergegeben und ihre lebenden Nachkommen davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass es auch nach dem Tod noch irgendwie weiterging.
Auf der ganzen Sonnseite gab es keinen sichereren Ort als bei den Thyre. Denn da sie so nah an der Sonne lebten, hatten sie den Schrecken der Wamphyri – außer aus den Überlieferungen und Berichten der Szgany, mit denen sie gelegentlich Handel trieben – niemals kennen gelernt. Und da sie telepathisch begabt waren – wenn auch im Geheimen, sodass kein Mensch auch nur etwas von ihrem Talent ahnte –, hatten die Thyre und ihre Toten Nathans Fähigkeit, mit den Toten zu reden, schon eher akzeptiert und ihn so in die Lage versetzt, unter den Lebenden das Sprachrohr der Verstorbenen zu werden.
Darum wusste er auch genau, wohin er die Höhlentaucher in Sicherheit bringen musste und wer ihn dort willkommen heißen würde.
Und als Maglore der Magier vor der Macht des nun durchaus zielgerichteten Zahlenstrudels zurückwich, seine klauengleichen Hände von seinem goldenen Wahrzeichen nahm und sich fragte, wie Nathan nur eine derartige Geschwindigkeit zu erreichen vermochte, durch welche Mittel – und vor allem, wohin er so schnell wollte! –, da hatte Nathan sich bereits des Möbiuskontinuums bedient, um seinen Bestimmungsort zu erreichen. Indem er seine Schützlinge durch ein Möbiustor wieder hinausgeleitete und sie festhielt, damit sie nicht ins Stolpern gerieten, als ihnen vor Staunen der Atem stockte, seufzte er auf, erleichtert, dass seine Koordinaten ihn nicht in die Irre geführt hatten. Doch er wusste natürlich, dass es mehr als bloße Mathematik war, was ihn sicher hierher gebracht hatte. Wie zur Bestätigung erklang die Stimme eines Toten, den er wohl niemals vergessen würde, denn er war der erste gewesen, der ihn eines Gesprächs für wert erachtet hatte:
Nathan! Nathan ... du bist lange weg gewesen. Du hattest uns verlassen, und nicht allein uns, sondern gar diese Welt. Und dann, vor einem Augenblick, bist du zurückgekehrt, allerdings weit entfernt auf der Sternseite. Ich kann mich nicht irren, denn ich habe dich dort gespürt. Aber nun ... bist du hier! Oder haben deine Gedanken dich etwa überholt? Falls dem so ist, sollte man deinen Lehrmeistern unter den Thyre ein Lob aussprechen, dass sie dir beigebracht haben, deinen Geist mit solcher Klarheit über weite Strecken zu projizieren. Denn ich könnte schwören, dass du mehr bist als ein bloßer Gedanke.
Es war der Philosoph Rogei, ein Uralter der Thyre, und dies war seine Ruhestätte, aber auch die vieler anderer. Die Höhle der Uralten, eines der zahlreichen Mausoleen, in denen die Thyre ihre vornehmsten Toten bestatteten, eine gewaltige, leuchtende, tief in einer Wüstenschlucht begrabene Höhle, die ihresgleichen suchte.
Hoch oben verlief durch die Mitte der Sandsteindecke von Wand zu Wand wie der Pupillenschlitz einer Katze ein mit weißem Quarz gefüllter Riss, der wie aus Licht geschnitten schien. Die Höhle war über ihre gesamte Länge gespalten worden, aber das Sickerwasser von Jahrhunderten hatte die Lücke mit Kristallen verschlossen, die allmählich zu Stein verhärtet waren. Von irgendwo weit oben gelangte immer noch Licht herein, wurde jedoch auf seinem Weg durch den Quarz gebrochen, daher der gedämpfte, leicht dunstige Schein. Von der Decke hingen kristallene Stalaktiten, und leuchtende bucklige Stalagmiten erhoben sich wie schimmernde Kerzenstummel aus dem Boden. Und im gesamten Rund – in Alkoven und Nischen, auf Vorsprüngen und aus dem nackten Stein gehauenen Simsen – lagen die mumifizierten Uralten der Thyre und verfielen langsam zu Staub.
Noch während sich die drei Höhlentaucher nach Kräften bemühten, ihre Fassung wiederzugewinnen, trat Nathan bereits an die Nische, in der sich Rogei befand. Ihn unter all den anderen ausfindig zu machen, stellte kein Problem dar; die Totenstimme des Uralten führte Nathan direkt zu ihm. Und auf so kurze Distanz erkannte Rogei, während Nathan näher kam, dass er in der Tat weit mehr war als bloß ein Gedanke.
Du ... du bist tatsächlich hier!, stieß er erstaunt hervor, und es klang so real, als habe Nathan es mit den Ohren gehört.
»Ja, da bin ich. Aber
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