Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
streitlustige Knechte mussten in ihre Schranken gewiesen und eine übellaunige Frau gezüchtigt werden. (Nun, im Wesentlichen würde dies zumindest Gorvis Entschuldigung ausmachen für den Fall, dass Wratha und die anderen Lords ihm jemals Vorwürfe machen oder den Grund für sein Zuspätkommen erfahren wollten. Doch war dies nicht sehr wahrscheinlich. Denn da Gorvi gewusst hatte, dass er sich verspäten würde, hatte er nicht nur Turgis, sondern auch weitere seiner Leutnante und eine ziemliche Anzahl aufstrebender Knechte vorausgeschickt, damit diese sich den Lords und der Lady bei deren gemeinsamem Wagnis anschloss – einem Großangriff auf die Szgany Lidesci.)
Doch ... von Anfang an hatte er sich bei dem Gedanken an den massiven Überraschungsangriff der heutigen Nacht nicht ganz wohl gefühlt. Was, gemeinsame Sache mit Nestor und Canker machen, die ihn beide hassten, mit Wratha, die ihn verachtete, und den Gebrüdern Todesblick, die schlichtweg wahnsinnig waren, bei diesem Abendausflug – oder sollte man es lieber einen blutigen Feldzug nennen – gegen die nie um einen Einfall verlegenen Szgany Lidesci, dessen Ausgang mehr als ungewiss war?
Eigentlich war es mehr als nur Unbehagen gewesen, eher eine düstere Vorahnung, eine verhängnisvolle Aura, die von dem Augenblick an über der Wrathhöhe lag, als die so genannte »Lady« das Thema, die Szgany Lidesci anzugreifen, angeschnitten hatte. Oder lag es einfach nur daran, dass Gorvi nun einmal die unteren Geschosse des Turmes bewohnte – Gorvisumpf, auf gleicher Höhe mit den Geröllhaufen und daher auch vom Boden aus angreifbar – und sich darum mit der Zeit immer verwundbarer fühlte? Was es auch sein mochte, heute Abend hatte er sich zurückgehalten, fest entschlossen, als Letzter auf dem Schlachtfeld zu erscheinen.
Hah! Und nun dies! Viel hatte es ihm wahrlich nicht gebracht. Aber vielleicht war auch dies ein Omen, ein warnendes Zeichen, dass er sich besser im Hintergrund hielt. Und das würde er mit Gewissheit tun! Denn nichts konnte ihn dazu bewegen, ohne eine gewaltige Streitmacht an Leutnanten, Knechten und Kriegern, die sich um ihn scharten, an einer großen Schlacht teilzunehmen. Jedenfalls nicht, solange es nur um des Kampfes willen geschah. Sollten die anderen doch ihren Ruhm suchen ... Gorvi konnte sehr gut auch ohne Narben leben, die von geschlagenen Schlachten zeugten. Was denn, Feigheit? Nein, niemals, schließlich war er Wamphyri! Aber man nannte ihn auch den Gerissenen, und diesen Namen trug er zu Recht.
Deshalb würde er den anderen eine Zeit lang zusehen, um festzustellen, wie die Dinge sich entwickelten. Aber wie es auch ausgehen mochte, wenn diese Nacht vorüber war, würde er noch am Leben sein und seine eigene Geschichte zu erzählen haben – wie er einen hinterhältigen Angriff auf die letzte Felsenburg abgewehrt hatte, während Canker, Nestor und die anderen ihren Begierden freien Lauf ließen, ihre Beute zählten und im Überfluss der Sonnseite schwelgten. Nun, und derart wäre auch er ein Held!
Zur Sonnseite, befahl er seinem Flieger, während dieser an Höhe gewann. Fliege über die Kuppel des Tores zu den Höllenlanden, lass dich vom Wind aus den Eislanden aufwärts tragen und folge den Hügeln nach Westen. Dann hinauf in die westlichen Bergspitzen und zwischen ihnen hindurch und die Hänge zur Sonnseite hinab. Im Vorgebirge werden wir landen und sehen, was es zu sehen gibt ...
*
Von ihrem Aussichtspunkt auf dem flachen Kamm an der Mündung des Großen Passes aus beobachteten die vier – Nathan, Trask, Chung und Anna Marie, wie Gorvis Flieger abhob und Kurs nach Westen nahm. Unten auf der Findlingsebene hingegen blieb unübersehbar sein Krieger zurück. Das Gebrüll und Gegrunze hallte hinauf bis zu ihnen, und aus einem Schlitz zwischen den Panzerplatten waberten seine Ausdünstungen in stinkenden Dunstwolken empor.
Die vier konnten es zwar nicht wissen, doch die Körper der beiden Leutnante des Vampir-Lords wurden, mitsamt ihren ledernen Rüstungen und allem, was dazugehörte, bereits verdaut. Doch waren sie kaum mehr als ein Appetithappen für den Krieger, dessen Aufmerksamkeit sich nun den lang hingestreckten Kadavern der Flugrochen zuwandte. Beide waren sie so »tot«, wie untote Vampirwesen nur sein können, obwohl sich in ihrem Blut natürlich der Keim dessen befand, was sie noch lange Zeit am »Leben« erhalten würde. Doch da ein Großteil dieses Blutes bereits vergossen war, waren sie im Grunde ja eigentlich
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