Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
begab, erinnerte er sich an den Felsen, wie er ihn seine ganze Jugend über gekannt hatte.
Seine Kuppe erhob sich mehr als sechzig Meter über einem steinigen Abhang. Er wirkte wie ein riesiger ovaler Findling, der, auf die Seite gestürzt, in einem mit Kiefern, Birken und Dornengestrüpp bewachsenen Hang steckte. Über dem Felsen zog sich schattig und düster ein schmaler Grüngürtel entlang des Vorgebirges dahin. Die Bäume erhoben sich hoch über dessen gesamte Länge, doch am Fuß der drohenden Klippen gedieh das Laubwerk nur spärlich. Hügelabwärts verschwanden die kahlen Bäume in fahlen Nebelschleiern und gingen in die Ebene und damit in dichten Wald über, bis sie in der Ferne schließlich zu einem graugrünen Blätterdach und einem trügerischen, dunstig wabernden Horizont verschwammen.
Weshalb der Ort »Zufluchtsfelsen« genannt wurde:
In alten Zeiten – eigentlich seit Menschengedenken – hatten sich die Szgany hier, im Innern des Felsens, in den Eingeweiden der Erde vor den Vampiren der Sternseite versteckt. Der Fels selbst mitsamt seiner Kuppe war massiv, an seinem Fuß jedoch löchrig wie ein hohler Zahn. Und heutzutage verbargen sich die Szgany Lidesci nicht nur darin, sondern sie lebten auch dort. Sie »bewohnten« natürlich auch das nahe gelegene Siedeldorf, nachts jedoch zogen sie sich unweigerlich in den sicheren Felsen zurück.
Über die Jahre hatten die Lidescis weitläufige Grabungen angestellt, um den Ort einigermaßen bewohnbar zu machen, und ein wahres Labyrinth aus Gängen, Kornspeichern, Pferchen für die Tiere, Wohnstätten für Familien, Lager- und selbst Aufenthaltsräumen geschaffen. Von dem gewaltigen Überhang aus, unter dem sich der Eingang verbarg, und den sich daran anschließenden Höhlensystemen unter dem östlichen Rand des Felsens hatten sie ihre Gänge und Tunnel bis zur gegenüberliegenden Seite und weit nach hinten getrieben. Zudem hatten sie alle größeren Eingänge mit Fässern primitiven, aber höchst wirksamen Schießpulvers vermint, sodass der Felsen nun ihre Zuflucht, behelfsmäßiges Lager, Todesfalle und Fluchtweg in einem war.
Und was die Lage des Felsens anging:
Etwa fünfundzwanzig bis dreißig Kilometer ringsum befand sich das Gebiet der Szgany Lidesci, das Lardis Lidesci stets eifersüchtig bewacht und mit seinem Leben beschützt hatte – insbesondere gegen die nächtlichen Überfälle der Vampir-Lords von der Sternseite. Und der Necroscope vermutete, dass die Wamphyri, sollten sie heute Nacht irgendwo auf der Sonnseite anzutreffen sein, dann hier ...
... Doch in dem Augenblick, als Nathan aus dem Möbiuskontinuum trat, war ihm klar, dass dies keine bloße Vermutung war. Denn sie waren hier. Sie befanden sich tatsächlich bereits hier – am Zufluchtsfelsen!
Weit im Süden, jenseits der sich endlos erstreckenden nachtdunklen Wälder und der dahinter liegenden Glutwüste, zeichnete sich hinter der Krümmung des Horizonts ein Streif geschmolzenen gelben Goldes ab, der nach oben hin zu Rosa und Amethyst verblasste, ehe er in ein zunächst helles, dann dunkleres Blau überging und schließlich zum Schwarz der Nacht wurde, das den gesamten Himmel bedeckte, an dem die Sterne wie blaue Eissplitter zu fremdartigen, Nathan allerdings vertrauten Bildern erstarrt schienen. Das heißt, eigentlich hätte der Himmel schwarz sein müssen ...
... und nicht von bunten Lichtlanzen durchzogen und von albtraumhaften Gestalten übersät, von denen einige mit heftig wummernden Stoßdüsen, andere wiederum lautlos zwischen den Rauchfahnen dahinjagender Raketen und durch schwarzen sich von rußenden Feuern erhebenden Qualm hindurchglitten! Die Wamphyri griffen den Zufluchtsfelsen mit vereinten Kräften an, und nach der Stille und dem Dunkel des Möbiuskontinuums kam es Nathan so vor, als sei er geradewegs in die Hölle geraten!
Dort unten auf dem spärlich bewaldeten Hang am Fuß des Felsens, nahe – viel zu nah – an der gähnenden Öffnung der Haupthöhle waren bereits einige Krieger gelandet. Einer von ihnen, der größte, schien verkrüppelt. Er stand in Flammen, brüllte und fauchte wie eine ganze Horde brünftiger Bergziegen und wuchtete sein Vorderteil hin und her. Offensichtlich war sein Rückgrat gebrochen. Die hintere Körperhälfte wand und krümmte sich und war nur mehr ein Flammenmeer, wo die Traveller das Geschöpf mit Öl übergossen und angezündet hatten. Aber es waren noch weitere Krieger zur Stelle, kleiner zwar, dafür weniger schwerfällig,
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