Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
die Francezcis zu ihrer Überraschung fest, dass sie so nahe zusammengerückt waren, dass sie einander berührten. Bebend lösten sie sich voneinander. In die Höhle war wieder Stille eingekehrt und die Grube war ... bloß eine Grube, nichts weiter als ein uralter Brunnenschacht.
Francesco blickte seinen Bruder fragend an, doch Toni schüttelte nur den Kopf. »Jetzt nicht. Im Augenblick möchte ... kann ich nicht mit ihm reden. Lassen wir ihm seine Ruhe. Später vielleicht ...«
Doch als sie sich anschickten, durch das stählerne Gitter in den aufwärts führenden Schacht zu treten, hörten sie ihn:
ER WIRD ERWACHEN! ER WIRD ERWACHEN! ER WIRD ERWACHEN UND AUFERSTEHEN! Es klang beinahe wie Triumphgeschrei, wurde jedoch rasch zu nacktem Entsetzen. E... e... er wird erwachen, ja – in wenigen Jahren, drei, höchstens vier – und dann ... dann wird er sich auf die Suche nach mir ... nach uns ... begeben. Er wird zu uns kommen!
Wer?, wollte Toni fragen. Doch er war immer noch völlig benommen und brachte nur ein Krächzen zustande. Aber es machte keinen Unterschied, denn er wusste bereits, wer, und sein Vater hatte ihn ohnehin gehört.
Wer? , erscholl immer leiser werdend ein ehrfurchts-, wenn nicht angstvolles Flüstern in ihren Köpfen. Na, wer wohl? Radu natürlich! Radu Lykan, wer sonst?
Darauf folgte ein durchdringender Schrei wie von einer gepeinigten, auf ewig verlorenen Seele: Raaaddduuu! Und ein erneutes Flüstern, das bebend verhallte: Raaaddduuuuuu! Dann herrschte Schweigen.
TEIL EINS: DER NECROSCOPE ... HARRY KEOGH?
ERSTES KAPITEL
Am schlimmsten war es jedes Mal, morgens aufzustehen, denn dann war er gezwungen, sich von seinen Träumen zu verabschieden. In seinen Träumen war er stets er selbst, im wirklichen Leben dagegen war aus dem Necroscopen Harry Keogh ein völlig anderer geworden. Nun, vielleicht nicht völlig, denn sein Inneres hatte sich nicht verändert. Sein Äußeres hingegen ...
... Es war verwirrend, es konnte einem ganz schwindlig davon werden, es machte einem Angst, vor allem aber machte es einen verrückt. Und zwar nicht nur Harry, sondern auch, eigentlich in der Hauptsache, seine Frau. Brenda konnte und wollte es nicht verstehen. Sie wollte lediglich, dass alles wieder so war wie früher. Und was ihr Baby, Harry junior, betraf – nun, wer vermochte schon zu sagen, was in ihm vorging? Wer wusste, was er dachte, was ihn bewegte und beschäftigte? Andererseits würde wohl nur ein Narr oder ein kompletter Idiot davon ausgehen, dass ein Kleinkind im zarten Alter von ungefähr achtzehn Monaten sich Gedanken über irgendetwas machte.
Oh, es gab durchaus einiges, was ihn beschäftigte – dass man ihn rechtzeitig fütterte oder seine Windeln wechselte und sich um ihn kümmerte wie um jedes andere Baby auch. Dafür sorgte er, indem er aus Leibeskräften schrie. Auf dieselbe Art und Weise scharte er seine Bewunderer um sich – indem er Bäuerchen machte und furzte und auf jene dämlich-unschuldige Art lächelte, wie sie nur wehrlosen Kleinkindern zu eigen ist, wenn ihre speckigen kleinen Gesichter auf einmal aussehen, als würden sie nach einer Seite weggleiten, und sie anfangen zu schielen und ihnen der Sabber von ihrem fetten kleinen Kinn tropft. Wer vermag schon einem solchen Liebreiz zu widerstehen? Mit seinen anderthalb Jahren war das meiste davon nun vorüber, doch was seine Wehrlosigkeit anging ...
Harry junior war ein Engel – allerdings einer, der dem Teufel gegenübergestanden hatte und daraus siegreich hervorgegangen war. Gemeinsam mit seinem Vater! Dies war jedoch nur eine Schlacht gewesen; die großen, blutigen Kriege sollten erst folgen. Im Augenblick wusste dies noch keiner von beiden, und wahrscheinlich war das auch gut so. Andernfalls hätten sie wohl nicht die Kraft besessen, weiterzumachen. Aus gutem Grund hütet die Zukunft ihre Geheimnisse ...
Sein Vater war allerdings weit mehr als nur ein durchschnittlicher Mensch, und so war auch Harry junior kein gewöhnliches Kleinkind. Immer dann, wenn er sich ... nun, irgendwie anders ... verhielt und seine Miene keineswegs mehr derjenigen eines Säuglings glich und seine Gedanken das tollpatschige Umhertasten und unbeholfene Erkunden eines unausgereiften Hirnes bei Weitem überschritten, zeigten die ESPer des E-Dezernats besonderes Interesse an ihm. Jedes Mal, wenn sie die Ehrfurcht einflößende fremde Macht spürten, die er beim Herumexperimentieren, oder was auch immer er da tun mochte, verströmte, waren sie sich
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