Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
niemals erfahren würde. Sie konnte mit ihm zusammen sein – ihn benutzen und nach Belieben mit ihm umspringen – und hinterher würde er sich lediglich an das erinnern, was sie wünschte.
Ihr erster Impuls, ans Telefon zu stürzen und ihn anzurufen – jetzt, sofort –, wich allmählich. Er war ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, nicht umgekehrt! Außerdem würde er in den nächsten drei Wochen ohnehin nirgendwohin gehen. Und falls doch, dann mit B. J., um gemeinsam mit ihr ihren Gebieter aufzusuchen. Ja, und dann würde alles gut werden. Sollte sich wie durch ein Wunder erweisen, dass Harry der Geheimnisvolle war, würde sie reichen Lohn ernten – dann war ihr die Dankbarkeit ihres Gebieters bis in alle Ewigkeit gewiss. Und falls Harry es doch nicht war, würde sie trotzdem belohnt und die dringlichsten Bedürfnisse des Hunde-Lords gestillt werden. Denn es war auch die Zeit, da die Vorräte wieder aufgefüllt werden mussten, die Zeit des Nährens.
Bonnie Jeans Zeit nicht minder als diejenige ihres Herrn und Meisters und großen Vorfahren, des Hunde-Lords Radu Lykan ...!
Bis es so weit war, würde sie eine Wache aufstellen, um den Mann, der sie beobachtete, beobachten zu lassen. Vielleicht fand sie dabei sogar heraus, wer oder was er war. Mithilfe ihrer Mädchen dürfte es nicht schwerfallen, die Straße vor dem Lokal rund um die Uhr zu überwachen. Ein winziges Mansardenfenster in B. J.s Schlafzimmer bot einen Blick über die Dächer. Ebenso gut konnte man von dort aus aber auch hinunter auf die andere Straßenseite blicken, genau auf jenen Ladeneingang, in dem Harry den Mann gesehen hatte. Den ganzen Tag und auch die ganze Nacht lang, sofern B. J. dies wünschte, konnte dort oben eins ihrer Mädchen, von außen ungesehen, hinter der Gardine sitzen und die Straße im Auge behalten, ohne dass irgendjemand Verdacht schöpfte. Und sollte tatsächlich jemand das Lokal beobachten, und sollte dieser Jemand ein schrecklicher Jemand sein, würde B. J. es umgehend erfahren. Und das nächste Mal, wenn eines ihrer Mädchen jemandem folgte, würde sie ihn gewiss nicht aus den Augen verlieren!
Sie würden es nicht mehr wagen! Nicht, wenn ihr Leben davon abhing. Ihr aller Leben ...
Am selben Nachmittag brütete der Necroscope Harry Keogh nur wenige Kilometer entfernt im Arbeitszimmer seines unweit von Bonnyrigg gelegenen Hauses über einer Liste ferner Orte, die er in stundenlanger Kleinarbeit im Lesesaal der örtlichen Bibliothek zusammengestellt hatte. Hin und wieder nickte er darüber sogar ein. Sein »System« war sehr simpel und lückenhaft:
Er hatte sich einfach einen Atlas genommen und war, vom nordöstlichen Bereich der britischen Inseln ausgehend, den Längengraden nach Westen gefolgt, um bewohnbare Regionen mit vergleichbaren klimatischen Verhältnissen ausfindig zu machen. Dabei schloss er die Westküste Englands natürlich nicht aus, allerdings genossen alle Küstenregionen dieselbe Priorität.
Der Gedanke war ihm gekommen, als er darüber nachdachte, was seine Mutter zu ihm gesagt hatte: Brenda hätte genau dieser Ort, Bonnyrigg, gefallen. Von dem ausgehend, war Harry einige Schritte weiter gegangen und hatte sich überlegt, wo eine ähnlich dramatische Landschaft mit Tagen voller Sonne, die sich dem Abend entgegenneigten, nebelverhangenen Nächten, hohen Gräsern, windgepeitschten Bäumen und wilden Blumen zu finden sein mochte. Im Grunde ein riesiger, verwilderter, den Blicken der Menschen entzogener Garten. Zumindest seinen, Harrys Blicken entzogen.
Wo konnte man einen solchen Ort finden? Und blieb das Klima tatsächlich gleich, wenn man sich an ein und demselben Längengrad entlangbewegte? Denn die Landschaft, die er sich vorstellte, entsprach im Großen und Ganzen – wenigstens was das Wetter anging – den Verhältnissen an der britischen Nordostküste, wo Brenda ihre Kindheit verbracht hatte. Der Necroscope hatte diesen Bereich einfach um zirka zweihundertfünfzig Kilometer verlängert, sodass er auch die Region um Edinburgh bis hin zum Firth of Forth umfasste. Und natürlich auch Bonnyrigg.
Damit hatte er ein Band, das sich, begrenzt vom 55. und 56. nördlichen Längengrad, rund um die Erde zog und auch Teile von Antrim, Donegal und Londonderry in Nordirland mit einschloss. Auf diesen Gedanken war Harry bislang noch gar nicht gekommen – dass Brenda und das Baby auch gar nicht so weit weg in Irland sein konnten. Das stimmte ihn nachdenklich, allerdings nicht so nachdenklich wie die
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