Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
Wesen bekannt waren, mussten dafür büßen. Die Bevölkerung wurde mit dem Schwert getötet, der Ort selbst dem Erdboden gleichgemacht.
Radu amüsierte sich immer noch, wenn er daran dachte, wie er die wilden Kreaturen befreit hatte, damit sie an Land schwimmen konnten, einen Großteil des Weines geraubt und das, was nicht fortgetragen werden konnte, vernichtet hatte. Und was das Gold anging ... nun, in gewisser Weise war auch Lord Radu damals noch reichlich unbedarft. Auf der Sternseite war Gold so gewöhnlich gewesen, dass er nicht begriff, welchen Nutzen das schwere Zeug haben sollte; seine Knechte hatten gleich ein ganzes Vermögen über Bord geworfen! Dort ruhte es, soweit er wusste, seit über fünfzehnhundert Jahren immer noch im Schlick einer Untiefe. Sollte es ihn je wieder in diese Gegend verschlagen, würde er wissen, wo es zu finden war.
Dafür gab es zwei weitere Frachtposten, die Radu brennend interessierten und an die er sich Jahre später erinnern sollte: mehrere mit einer klebrigen, gold schimmernden Flüssigkeit gefüllte Amphoren, deren Inhalt er zunächst für Honig hielt, und eine Kiste voller ... gelber Steine? Bei Ersterem handelte es sich um Harz, das im gesamten Mittelmeerraum als Konservierungsmittel für Wein benutzt wurde; bei Letzterem um versteinertes Harz, von der Ostsee zu glänzenden Bernsteinkieseln rund gewaschen. Und Lord Radu – ursprünglich ein ungebildeter Nomade, kaum mehr als ein Wilder aus den Wäldern einer Paralleldimension, schließlich ein verwandelter Lord auf der finsteren Seite ebenjener Welt und in dieser Welt zu guter Letzt ein Werwolf – erkannte den Zusammenhang zwischen beidem. Gut möglich, dass er einer der Ersten war, die dies sahen.
Denn auf der Sternseite pflegten gewisse Lords der Wamphyri besiegte Feinde lebendig (oder vielmehr untot) zu begraben, weit draußen auf der Findlingsebene, damit sie in ihren tiefen Gräbern, aus denen es kein Entrinnen gab, allmählich zu Stein erstarrten und mit dem umgebenden Erdreich verschmolzen. Hier war der Fall jedoch anders gelagert – hier war das umgebende Harz erstarrt und was immer darin eingeschlossen war, blieb unversehrt. In den durchsichtigen, sanft schimmernden Steinchen waren nämlich Mücken und Käfer in den abgesonderten Lebenssäften seit unzähligen Jahren toter, von der Erdoberfläche verschwundener Nadelwälder gefangen.
Radu hatte zwar keine Ahnung, wie viele Äonen vergehen mussten, bevor aus Harz Bernstein wurde, nichtsdestotrotz versetzte ihn das Prinzip in Erstaunen. Insbesondere als er sich einige der im Bernstein eingeschlossenen Exemplare genauer betrachtete – eine vollkommen erhaltene Libelle zum Beispiel oder eine Ameise mit dem noch deutlich sichtbaren Stück eines Blattes zwischen den Kieferzangen. Diese Kreaturen waren tot, gewiss, nach menschlichen Maßstäben seit einer Ewigkeit. Doch was, wenn ein Lord der Wamphyri auf den Gedanken kommen sollte, sich derart zu konservieren? Ein metamorpher Vampir, dessen Fleisch sich selbst regenerierte? Seit dieser Zeit trug Radu ein Stück Bernstein an einem dünnen Goldkettchen um den Hals. Das darin eingeschlossene Insekt war unversehrt ...
Bernstein – das absolut letzte Produkt, zu dem Harz schließlich wurde.
Harz – das Blut gewaltiger Kiefern ... die vor fünfzehnhundert Jahren, ja, noch lange danach, wie das Winterfell einer riesigen Bestie die Berghänge bedeckten, nicht allein die Granitfelsen des unwirtlichen Schottlands, sondern noch weit entlegenere Regionen ferner Länder. An Harz gab es keinen Mangel, oh nein! Zweihundert Jahre nach Radus Ankunft hatten die Griechen des Mittelmeerraums das Zeug gleich tonnenweise benutzt, nur um ihren Wein haltbar zu machen! Und wenn Radus »Altersgenossen«, die Drakuls beispielsweise, daran gedacht hatten, Heimaterde aus ihren Stätten auf der Sternseite hierher mitzunehmen, nur um in dieser Welt eine Schlafstatt zu haben – weshalb sollte er dann nicht in einem Bett aus Bernstein liegen, um die Jahrhunderte zu überdauern?
Lange Zeit, unzählige Jahre, hatte Radu diesen Gedanken mit sich herumgetragen, ohne überhaupt zu ahnen, dass er da war. Doch als es schließlich so weit war ...
Harz – ein Konservierungsstoff, der zugleich wie ein Heilmittel wirkte. Ein Schutz vor den Auswirkungen der Zeit. Vielleicht vermochte es sogar, gegen den schrecklichen Fluch zu helfen, der in dieser Welt eine ebenso schlimme Plage war wie auf der Sternseite die Lepra. Nun, für Letzteres hatte er zwar
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