Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
nomadisierender Stämme über Europa hinweg, und wo sie einen Gebirgszug nicht zu erklimmen vermochten, konnten sie ihn immer noch umgehen ...
Es waren Krieger, Männer, die wussten, wie man einen Feind abschlachtet, auch die Wamphyri, und völlig vernichtet: Ein Bolzen oder eine Lanze ins Herz hatte noch jeden getötet, und indem sie den Kopf des Gegners auf eine Lanze spießten, konnten sie sichergehen, dass er auch wirklich tot war ... und wenn man anschließend seine Feste mitsamt allem, was sich darin befand, niederbrannte, blieb nichts von ihm und den Seinen zurück. Dies hatten Krieger schon immer getan, und so sprangen sie nicht nur mit den Wamphyri und deren Gefolgschaft um. In den meisten Fällen hatten die Invasoren – erst die Ostgoten, später die Westgoten und Awaren – nämlich nicht die geringste Ahnung, dass sie es mit Wamphyri zu tun hatten! Nein, sie ermordeten lediglich reiche dakische Landbesitzer in deren düsteren Burgen oder töteten seltsame graue Wilde, Mischwesen, in deren Festen und Höhlen am Rand des Gebirges.
Gerade weil es nun einmal eine Zeit des Umbruchs und gewaltsamer Umwälzungen war – mithin der Untergang der antiken Welt –, geriet der noch junge Mythos von den Wamphyri, die Legenden über blutgierige Vampire und Werwölfe, beinahe in Vergessenheit. Wozu Mythen über grausame Ungeheuer, wo doch die ganze Welt ein einziges Blutbad war? Vierzig Jahre nach Radus Ankunft plünderten die Westgoten Rom, und weitere fünfundvierzig Jahre später fiel es den Vandalen in die Hände; allerdings war Radu diesmal mit von der Partie. Denn nicht anders als die meisten anderen von Shaitan von der Sternseite verbannten Wamphyri auch konnte Radu nicht widerstehen, wenn es um Blut ging, schon gar nicht, wenn es in solchen Strömen floss.
Der Krieg zog ihn an wie ein Magnet. Von dem, was hier vorging, konnte man auf der Sternseite nur träumen. Noch nicht einmal die mächtigsten der Alten Lords hatten solche Kriege geführt! Während der folgenden Jahre und Jahrzehnte kämpfte Radu mit Begeisterung als Söldner, den es mal hier-, mal dorthin verschlug. Er nutzte seine Gabe der Traumdeutung – unter Hunde-Lords keineswegs ungewöhnlich – dazu, in die Zukunft zu blicken, um vorherzusehen, welcher Seite er sich in den großen Kriegen, die noch bevorstanden, anschließen sollte. Gleichzeitig hielt er die Ohren offen, ob er nicht etwas von seinen Erzfeinden hörte, die mit ihm durch das Tor in die Höllenlande gekommen waren. Hin und wieder verfluchte Radu sich selbst dafür, dass er sie damals, an der Schwelle zu dieser neuen Welt, als sie am Ende ihrer Kräfte waren, nicht gleich erledigt hatte. Allerdings war ja auch er damals vorübergehend geschwächt gewesen.
Schließlich erreichten ihn Gerüchte. Er kämpfte als Söldnerführer für den Vandalen Geiserich (der ihm den Beinamen »Radu, Hund der Nacht« verlieh, weil Radu am liebsten nachts, im Schein des vollen Mondes zuschlug), da erfuhr er vom Tod eines Provinz-Senators, eines gewissen Onarius Ferengus (was, er war Römer?), den vor zehn Jahren angeblich Piraten in seiner Villa bei Odessa am Schwarzen Meer ermordet hatten. Dies erzählte ihm ein numidisches Sklavenmädchen, Ulutu, die ihre Freiheit erlangte, als Geiserichs Streitmacht Rom plünderte. Einst hatte sie Onarius gehört, aber in der Nacht, in der er getötet wurde, war es ihr gelungen, vor dem Feuer und den Kämpfen zu fliehen. Und so, wie Ulutu ihren einstigen Gebieter beschrieb ...
... hegte Radu keinerlei Zweifel daran, dass es sich um niemand anderen handelte als um Nonari den Derben Ferenczy!
Unter Radus Obhut geriet Ulutu völlig in den Bann ihres neuen Gebieters, der die Tage mit seinem Rudel unter den Colli Albani , zwölf Meilen außerhalb von Rom, verbrachte. Umgekehrt erlag Radu, wenngleich in geringerem Ausmaß, auch ihrem Zauber, und die beiden wurden ein Liebespaar. Doch da er in den Bergen Dakiens, die nun gotisches Territorium waren, bereits genug »Welpen« und außerdem die Erfahrung gemacht hatte, dass Anonymität und Abgeschiedenheit gleichbedeutend mit einem langen Leben waren, achtete er darauf, dass Ulutu ihre Menschlichkeit nicht einbüßte. Mit anderen Worten: Er drang zwar in sie ein, sah aber zu, dass sie nicht mit seiner Substanz in Berührung kam. Manchmal, wenn sie erschöpft auf ihrem Lager aus gegerbten Fellen lagen, stellte Radu ihr Fragen nach ihrem früheren Gebieter, und sie erzählte ihm alles Mögliche.
Wie genau Nonari Grobhand
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