Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
noch keinen Beweis, aber ...
Was war das ...?
Radus Träume glichen mittlerweile beinahe bewusstem Denken. Durch die Wände seines Sarkophages und die nahezu feste Masse seines Harz-Kokons hindurch spürte er eine leichte Erschütterung. Er spürte etwas. Da war jemand! Oder war es nur der Berg gewesen, dessen Grundgestein sich setzte? Seit sechshundert Jahren lag er nun hier und nahm die Bewegungen des Gebirges wahr. Er hatte seinen Ruf noch nicht ausgesandt, oder? Die Zeit war noch nicht reif. Bald, aber noch war es nicht so weit! Demnach ... hatte etwa seine in ihrem gewaltigen Bottich zu grässlichem Leben heranwachsende Kreatur sich gerührt? Schon möglich. Er würde es durchaus »spüren«, wenn sie sich regte, schließlich waren ihr Fleisch und ihr Geist sein Werk.
Ruhig, mein Kleines, ruhig, sandte Radu schläfrig aus. Deine Zeit wird bald kommen, dessen kannst du gewiss sein ... aber erst bin ich an der Reihe. Also hab keine Furcht, denn dein Gebieter wird da sein, um dich zur Welt zu bringen ...
Radu erhielt keine Antwort. Aber er hatte auch nicht mit einer gerechnet. Ein Beben war durch diese alten, geborstenen Felsen gelaufen, das war alles. Er konnte sich wieder seinen Träumen widmen, von Menschen und Ungeheuern träumen, von der Zeit und der Pest und davon, wie er sich all dem letztlich entzogen hatte.
Von den Menschen ...
Den Römern! Doch das Imperium stand bereits kurz vor dem Untergang. Aye, denn die Goten befanden sich auf dem Vormarsch, und sie waren nur ein kleiner Teil dessen, was sonst noch kommen sollte. Ah, was für Kriege, was für Schlachten, so viel Blut! Das Blut war das Leben! Und welche Vielfalt an Blut es in dieser neuen Welt gab! Kein Wunder, dass ihnen diese Höllenlande anfangs wie der Himmel, wie ein wahres Paradies für Wamphyri vorkamen.
Aber waren sie dies auch wirklich ...?
Die Menschen und ihre Kriege ... (Allmählich versank Radu wieder in seinen bereits Jahrhunderte währenden Schlaf.)
In den langen Jahren der Umwälzung zogen sich die Wamphyri auf die Berghöhen zurück und verteilten sich in die umliegenden Gebiete, selbst in fremde Länder jenseits des Meeres breiteten sie sich aus, eigentlich an jede Küste des Mittelmeers mitsamt seiner Inseln. Sie erkannten nämlich, wie dumm sie sich nach ihrer Ankunft verhalten hatten; sie waren zu wagemutig vorgegangen und zu Legenden geworden, die kaum noch aus dem Gedächtnis der Menschen zu tilgen waren. Doch wenn sie hier am Leben bleiben wollten, mussten sie sich dieser Welt und ihren Bewohnern anpassen oder zumindest diesen Eindruck erwecken. Jedenfalls durften sie nicht auffallen. Und langsam, aber sicher gelangten sie zu einer Übereinkunft: In dieser blutigen, von Kriegen erschütterten Welt wollten sie den Krieg nach Kräften als Deckung nutzen. Eine solche hatten sie auch bitter nötig!
Denn es zeigte sich bereits, wie die Menschen auf die Ankunft der Wamphyri reagierten: zunächst voller Angst, in einer von Aberglauben beherrschten Welt – doch dann wehrten sie sich, nicht anders als die Szgany der Sonnseite! Denn einem Mann mag man zwar sein Land nehmen, seine Kinder auffressen und seine Frau verführen, doch irgendwann, wenn er nichts mehr hat, hat er auch nichts mehr zu verlieren! Und dann dürfte wohl jeder kämpfen!
Es verhielt sich folgendermaßen: Die fremden Invasoren hatten im Sinn, wie auf der Sonn- und Sternseite auch, eine Schreckensherrschaft zu errichten. Doch selbst dort geschah nicht alles so, wie sie es wollten. Während scheinbar endloser Tage verwehrte die Sonne ihnen den Zutritt zur Sonnseite, und während der finsteren, nebelverhangenen Nächte verbargen sich die Szgany, und fanden sie kein Versteck, griffen sie zu den Waffen. Und in dieser Welt war es nicht anders, allenfalls schlimmer. Hier gingen die Nächte so schnell vorüber, dass den Vampir-Lords gar keine Zeit blieb, sich darauf einzustellen; und die Tage ... waren einfach grauenhaft! Die glühende Sonne zog direkt über sie hinweg, und nirgends ein Grenzgebirge, um die sengenden Strahlen fernzuhalten oder sie vor der Wut rachsüchtiger Menschen zu schützen.
Oh, es gab durchaus Gebirgszüge – und was für welche! Das gewaltige Hufeisen der Karpaten im Osten und die mächtigen Alpen im Westen; aber anders als die Grenzberge der Sternseite stellten sie kein Hindernis für das Rund der Sonne dar, und wenn der Glutball am höchsten stand, brannte er unterschiedslos auf alles und jeden hinab. Zu jener Zeit fegten riesige Armeen
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