Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)

Schatten!
    Harry ahnte sie viel mehr, als dass er sie sah ... Irgendetwas klapperte metallisch, als jemand darüber stolperte oder es beiseite trat. Das war links von ihm. Zu seiner Rechten glitt ein Schatten durch das Dunkel, nur ein Huschen, mehr nicht, doch es genügte, dass seine Nackenhärchen sich aufrichteten. Sein Blick wanderte unstet hin und her, richtete sich schließlich nach oben. Über ihm erstreckte sich ein Gerüst aus Streben, das eine Kabine und einen motorgetriebenen Kran trug. Die schweren Ketten, die von den Umlenkrollen hingen, schwangen immer noch hin und her. Immer noch? Oder waren sie gerade eben erst in Schwingung versetzt worden?
    A. C. und Skippy ... und wer noch? Harry entsann sich dessen, was Trevor Jordan ihm nur einen Augenblick zuvor gesagt hatte: »Er hat einen Freund dabei. Oder vielleicht auch ... mehrere?« Großartig! Und wie viele? Jordan hatte recht: Skippy war wahrscheinlich nicht der Einzige.
    Sie sind zu dritt!, erscholl aus dem Nichts eine Stimme, oder vielmehr aus der metaphysischen Finsternis hinter den Augen des Necroscopen. Auf Anhieb erkannte er ihren Besitzer: R. L. Stevenson Jamieson. Drei Gegner! Nur wessen Gegner ... das ist schwer zu sagen! Zwei von ihnen sind eindeutig gegen dich. Und was den dritten angeht ... Harry spürte, wie der Tote die Achseln zuckte.
    »R. L.«, flüsterte Harry. »Du solltest dein Obeah lieber einsetzen, die Kräfte deines Bruders zu dämpfen. Will sagen, du solltest deine Kraft dafür aufheben und sie nicht verschwenden, indem du mit mir redest.«
    Du bist da, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, Necroscope, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen, entgegnete R. L. Mach’ dir keine Sorgen um mein Obeah. Es funktioniert, glaub’ mir. Aber in deinem Geist habe ich gerade mitbekommen, wie mein Bruder damit angegeben hat, dass er mich umgebracht hat. Also fühl’ dich bloß nicht an irgendwelche Versprechen gebunden! Wegen mir brauchst du dich nicht zurückzuhalten. Schnapp’ dir diesen ...
    Harrys Augen hatten sich mittlerweile an das hier herrschende Dämmerlicht gewöhnt. In einer Doppelreihe an Arbeitsbuchten, eine jede mit Inspektionsgrube, Flaschenzug und diversen Werkzeugen versehen, befanden sich Karosserien in unterschiedlichen Reparaturstadien, manche zum Teil schon umgespritzt oder umgebaut. Hebebühnen und andere Apparaturen zum Rollen standen ungenutzt im Mittelgang herum und von der Decke baumelten überall Ketten herab. Die Werkstatt war in Windeseile verlassen worden und nun nichts als eine einzige Mausefalle. Selbst für jemanden, der sich hier auskannte, konnte eine plötzliche oder hastige Bewegung gefährlich enden.
    Harry stand im Schutz eines der gewaltigen Stahlträger, auf denen die Decke ruhte, direkt am Rand einer Arbeitsbucht, in der er aus dem Möbius-Kontinuum getreten war. Ungefähr zwölf Meter zu seiner Linken sah er die Hallentore, die, wie er wusste, zum Lagerplatz führten. Allerdings hatte sie jemand ... geschlossen! Mittlerweile dürfte Jordan unverrichteter Dinge davor stehen, was bedeutete, dass Harry sich selbst überlassen war. Ihm war klar, dass der Telepath, selbst wenn Harry einen Möbiussprung in den Hof unternahm, niemals auf diesem Weg mit ihm zurückkehren würde. Und was brachte es eigentlich, wenn er Jordan mit hier herein nahm? Nichts, es würde ihn nur in noch größere Gefahr bringen. Natürlich könnte Harry auch einfach seine Hände in Unschuld waschen und verschwinden. Doch das entsprach nicht seiner Art.
    Das Dumme an der Sache war, dass er hier in der Finsternis, inmitten der Gefahr, sich allmählich wieder als ganz er selbst fühlte. Er hatte sich hier hineinmanövriert, Harry Keogh, oder zumindest sein Geist, auch wenn sein Körper nun ein anderer war. Doch, zum Teufel, gab es da überhaupt einen Unterschied? Hier, in dieser Situation, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass dies er war! Und er war allein ...
    Nicht ganz, Necroscope, erscholl mit einem Mal George Jakes’ Stimme. So fern er auch sein mochte, klang er doch ganz nah. Harry fuhr zusammen. Harry, du musst das – wie heißt es doch gleich – Möbius-Kontinuum benutzen! Jakes war aufgeregt und nicht ganz sicher, ob er Harrys Gedanken richtig mitbekommen hatte. Unbedingt! Aber nicht bloß, um abzuhauen! Du brauchst Verstärkung, Harry, und vielleicht habe ich die Antwort darauf. Hastig umriss er seinen Plan. Und weil George Jakes tot war und niemand als der Necroscope ihn zu hören