Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
schön? Früher oder später rächt sich alles; und wie jedes kleine Kind musste Harry nun feststellen, dass man nicht alleine spielen kann. Insbesondere nicht Verstecken!
Von seinem weitläufigen alten Haus bei Bonnyrigg aus rief Harry Darcy Clarke an und redete sich seinen Frust von der Seele. Doch Darcy konnte ihm nicht viel mehr sagen als das, was er ohnehin bereits wusste (sonst hätte das E-Dezernat sofort Kontakt zu ihm aufgenommen). »Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wo sie sein könnten, Harry. Es ist, als habe sie der Erdboden verschluckt!«
»Wie lange geht das jetzt schon so? Einen Monat? Fünf Wochen?« Harry blickte das Telefon an, als könne er nicht glauben, was er da hörte. »Seit fünf Wochen befasst ihr euch mit dem Fall, das ganze E-Dezernat mit all seinen Lokalisierern, Wahrsagern, Wünschelrutengängern und Hellsehern, und was dabei herauskommt ist – nichts? Ihr habt noch nicht einmal die leiseste Ahnung?«
Das brachte Darcy in Rage. »Was willst du damit sagen?«, fuhr er Harry an. »Denkst du etwa, wir strengen uns nicht genug an? Vielleicht suchen wir ja überhaupt nicht nach ihnen, ist es das? Na, dann fang’ endlich an, zwei und zwei zusammenzuzählen; und glaube mir: Wir sind ebenso sehr an dem Kind interessiert wie du – wenn auch aus anderen Gründen!«
Das gefiel Harry zwar nicht besonders, dennoch war ihm klar, dass es wohl die Wahrheit sein musste. Natürlich wollte das
E-Dezernat Harry junior aufspüren. Bloß weil sein Vater ihnen einen Korb gegeben hatte, hieß das noch lange nicht, dass der Sohn dies ebenfalls tun würde – wenn er so weit war! Doch Darcy erkannte, dass er womöglich zu weit gegangen war.
»Harry«, meinte er in etwas ruhigerem Tonfall, »Ich ... ich möchte mich nicht mit dir streiten. Ich meine, mein Gott, wir sollten nicht zanken! Wir suchen nach den beiden, das weißt du! Es war nicht richtig von mir, so hochzugehen. Was ich sagte, das war ... nicht so gemeint.«
»Aber du hast es gesagt«, entgegnete Harry, auch er wieder ruhiger. »Mein Sohn soll also der Nächste sein, den das E-Dezernat ausnutzen wird! Wann? Wenn er fünfzehn ist oder sechzehn? Und solange ihr wartet, haltet ihr euch im Hintergrund, beobachtet ihn, wie er aufwächst, wägt seine Fähigkeiten ab und seht zu, wie er sich entwickelt? Oder werdet ihr vorher eingreifen und ihn rekrutieren, so wie ihr es mit mir gemacht habt? Indem ihr ihm all das Böse in der Welt zeigt und ihm erzählt, dass das
E-Dezernat mit seiner Hilfe die Macht haben wird, all das zu ändern? Und was dann, Darcy? Wird er derjenige sein, der am Ende die ganzen geistigen Senkgruben ausmistet? Ach, wirklich? Nicht solange ich es verhindern kann ...«
»Und auch nicht, solange ich ein Wörtchen mitzureden habe, Harry!« Darcys Stimme klang mittlerweile flehend. »Hör zu, du bist außer dir, sonst würdest du nicht so mit mir reden. Und ich habe es wirklich nicht so gemeint, wie du es auffasst. Willst du mein Wort darauf? Ich gebe es dir! Wir werden deinen Sohn in Ruhe lassen und uns niemals in sein Leben einmischen. Aber, Harry, Tatsache ist doch, dass keiner von uns je irgendetwas mit ihm zu tun haben wird, wenn wir ihn nicht finden! Und im Augenblick sind wir dazu nicht in der Lage!«
Der Necroscope schwieg einen Moment. »Aber ihr werdet es weiterhin versuchen?«, sagte er schließlich.
»Selbstverständlich!«
»Nun, dann vielen Dank wenigstens dafür!« Damit legte Harry auf ...
Unten am Ufer, wo der Fluss in einer kleinen Schleife wirbelnde Strudel bildete, redete Harry mit seiner Mutter. Es war das erste Mal, seit er vor drei Wochen hierher gekommen war, nachdem er die Wohnung in Hartlepool verkauft hatte, und so langsam fühlte die Mutter des Necroscopen sich vernachlässigt. Doch ihm ging – oh, schon seit Langem – so vieles im Kopf herum und wie jede Mutter spürte sie dies. Darum hatte sie ihn, obschon sie ihn jederzeit und an jedem Ort zu erreichen vermochte, in Ruhe gelassen. Außerdem wusste sie ja, dass er die Leute, mit denen er sprach, gerne persönlich aufsuchte.
Es war Mitte April, ein stürmischer Tag, aber wenigstens regnete es nicht, als Harry im Mantel am Flussufer saß. Du wirst dir trotzdem noch den Tod holen!, ermahnte sie ihn, als sie die kalte Brise in seinem Haar spürte und ihr Blick (durch Harrys Augen natürlich) auf die grauen Wolken fiel, die sich in den Wellen spiegelten, sodass es aussah, als würden sie durch den Fluss ziehen. An so einem Tag solltest du nicht
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