Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
wollten sie retten?
»Soll das heißen, er ist nicht ... warm? Anders als ich?«
Doch, er ist warm. Die Toten nehmen ihn als kleine, freundliche Flamme wahr. Aber er ist nicht das Licht, das ihr Dunkel erhellt, nicht so wie du. Eines Tages vielleicht, aber das wird noch dauern!
»Das heißt also, ihr würdet es gar nicht mitbekommen, sollte er sterben ...« Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung. Und in gewisser Weise war Harry sogar froh darüber. Er legte keinen besonderen Wert darauf, vom Tod seines Sohnes oder auch von Brendas Tod in Kenntnis gesetzt zu werden. Weder von den Toten noch von den Lebenden.
Früher oder später ... würde ich es erfahren, erklärte ihm seine Mutter. Aber im Augenblick kann ich dir nur so viel sagen: Bislang ist mir nichts Derartiges zu Ohren gekommen. Soweit ich weiß, weilen sie noch unter den Lebenden.
Harry seufzte erleichtert auf. Wenn seine Mutter ihm sagte, dass es sich so verhielt, dann war es auch so. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, war dies auch nur eine seiner kleineren Sorgen. Er war sich im Klaren darüber, vollkommen im Gewissen, dass seine Frau und sein Sohn noch am Leben waren. Irgendwo! Doch wo?
Seine Mutter vernahm seine lautlose Frage und wollte ihrerseits wissen: Wohin würdest du dich wenden, Harry, wenn du untertauchen wolltest? Und wohin Brenda? Du weißt doch mit Sicherheit einiges über ihre Geheimnisse, ihre Träume und Fantasien?
Mit einem Mal wurde dem Necroscopen klar, wie selbstsüchtig er ihr vorkommen musste. Kein einziges Mal hatte er versucht, die Sache aus der Sicht seiner Ehefrau zu sehen, stets nur aus seiner Perspektive. Und nun gab seine Mutter ihm auf ihre Art zu verstehen, dass Brenda eine eigene Persönlichkeit war mit eigenen Geheimnissen, Fantasien und Träumen. Mit Gefühlen, Emotionen und Leidenschaften, die nun durch den Kontakt mit Harrys Welt allesamt einen Knacks erlitten hatten oder so weit vergiftet waren, dass ihr einziger Wunsch nur noch darin bestand, sich davor zu »verstecken«.
Das wollte ich damit doch gar nicht sagen, Junge, erklärte ihm seine Mutter. Und das weißt du auch! Das ist bloß meine ... meine Art, mich auszudrücken.
Doch Harry wusste, dass mit den Toten zu reden oft mehr vermittelt als das, was gesagt wird; vielleicht hatte er ja doch einen Blick auf das, was seine Mutter wirklich dachte, erhascht. Auf jeden Fall hatte sie einen wunden Punkt berührt. Etwa mit Absicht? Jedenfalls verstand sie es, die Dinge ins rechte Licht und ihm den Kopf zurechtzurücken!
Gleichzeitig jedoch hatte sie den Necroscopen mit ihrer Art, das Problem anzugehen, nachdenklich gemacht. Denn natürlich war Brenda anders als er, eine eigenständige Persönlichkeit mit eigenen Gedanken, Vorlieben und Abneigungen, sodass Harry sich nun fragte, wo sie wohl untertauchen würde, wenn sie den einzigen Ausweg nur noch darin sah, sich zu verbergen. Sie hatte sich noch nie viel aus der Sonne gemacht, sondern immer den Regen genossen! Sie liebte Gärten, den Wind in ihrem Haar, dramatische, nebelverhangene Landschaften. Sie liebte es, am Fenster ihrer Mansardenwohnung zu sitzen und darauf zu lauschen, wie der Regen auf die Dachziegeln trommelte ... das war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen.
Wenn das so ist, schaltete sich Harrys Mutter wieder ein, dann würde dieses Haus zu ihr passen! Genau dieses Haus!
Er schüttelte den Kopf. »Sie hat es noch nie gesehen.«
Und gibt es einen ähnlichen Ort?
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich glaube, gewisse Küstenstriche haben ihr gefallen, zerklüftete Klippen bei Regenwetter ... und Gärten; eigentlich jeder Garten, vor allem aber wenn es darin eine Ecke gab, die sich selbst überlassen war. Hohes Gras, wilde Blumen und eine Stelle, an der sie sich hinlegen und die Wolken betrachten konnte. Und die Sterne – je klarer, desto besser. Sie kennt kein einziges Sternbild, aber sie mag sie trotzdem. Ein ungezähmter Ort – eine Wildnis – und eine Menge Sterne am Nachthimmel: Das würde ihr gefallen!«
Du bist ein Dichter und weißt es noch nicht einmal!
»Woher ich das wohl habe?«, erwiderte Harry und sie spürte, dass seine Stimmung sich etwas hob.
Ich glaube, es wird Zeit, dass du anfängst, dir deine Million Orte einmal anzusehen, ermahnte sie ihn. Schließlich haben wir deinen Suchbereich mittlerweile ein bisschen eingegrenzt. Da konnte Harry ihr nur recht geben.
Keiner von beiden ahnte, dass Brenda und Harry junior sich tatsächlich an einem solchen Ort
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