Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
schweigt und atmet.«
Alyss führte ihre Mutter zu der Bank am Fenster und drückte sich selbst die eine Hand auf den Magen, der sich in ihrem Leib vor Angst zu drehen begonnen hatte. Eine Weile lauschten sie den schweren Atemzügen und achteten auf die blauen Lippen des Herrn vom Spiegel. Erleichterung durchflutete Alyss, als sie sehr bald darauf das Trampeln auf der Treppe hörte. Frieder stürmte herein, gefolgt von Trine. Sie schlitterte über den Boden, fiel vor dem Kranken auf die Knie, schob Marians Hand beiseite und legte ihre Hände auf das widerspenstige Herz. Mit geschlossenen Augen lauschte die Taubstumme auf das, was nur sie wahrnehmen konnte, dann hob sie ihre Hände, lächelte Frau Almut an und machte ein
paar kleine Gesten. Alyss sah, wie sich die Spannung in den Zügen ihrer Mutter löste.
»Ja, Trine, er hat ein gutes Herz. Das hast du schon immer gesagt.«
Frieder hatte inzwischen einen Becher mit den Tropfen aus der Phiole gefüllt, und mit sanfter Hand halfen Marian und Trine dem Herrn vom Spiegel, die Arznei zu trinken. Sie zeitigte schnelle Wirkung. Das Blau der Lippen schwand, sein Atem ging leichter.
Eine Stunde später hatten Sesselträger ihn vorsichtig nach Hause gebracht, von Marian, Trine und Frau Almut begleitet, und Alyss, obwohl sie aufgewühlt und erschüttert war, versuchte ihr Hauswesen zu beruhigen.
Am nächsten Morgen kam Marian schon vor der Terz vorbei und brachte ihr die Nachricht, dass ihr Vater sie zu sprechen wünschte.
»Es geht ihm erstaunlich gut, Schwesterlieb. Er knurrt schon wieder herum, unsere Mutter würde ihn verzärteln. Dabei zitiert sie nur Jesus Sirach – von den Leuten, die den Ärzten in die Hände fallen sollen.«
»Ei wei! Und was will er von mir?«
Sie hängte bereits die Schürze an den Wandhaken und warf sich das dicke Wolltuch über.
»Über die Brautschatzfreiung reden. Ich glaube, er ist damit einverstanden.«
»Es tut mir so entsetzlich leid, Marian, dass er sich so sehr aufregen musste.«
»Wir hätten es nicht vermeiden können, Alyss, er ist ein so verdammt kluger Kopf.«
»Ja, er zieht entsetzlich schnell seine Schlüsse.«
Sie verließen das Haus und gingen eiligen Schrittes Richtung Alter Markt.
Ivo vom Spiegel empfing sie in seinem Turmzimmer, doch war er wie üblich in seinen Talar gekleidet und saß aufrecht in seinem Sessel am Fenster, einen Folianten auf seinen Knien.
»Ich verstehe nicht, Herr Vater, dass Ihr nicht gleich heute wieder im Kontor arbeitet«, begrüßte Alyss ihn.
»Hätte ich getan, würde deine Mutter nicht solches Getue um mich machen.«
»Ja, es ist schrecklich, umsorgt zu werden. Ich kenne das. Grässlich, wenn man beispielsweise Fieber hat und ständig jemand an seinem Bett sitzt und einen mit kalten Umschlägen traktiert.«
»Hätte das je einer bei dir getan, Tochter?«
»Ja, Herr Vater. Ihr.«
»Mhm.«
Alyss zwang sich zu lächeln und zog sich einen Schemel an seine Seite.
»Ihr wolltet mich sprechen, Herr Vater.«
»Ja, Kind, das wollte ich. Ich hatte etwas Zeit heute Nacht, um über das eine oder andere nachzudenken.«
»Ihr hättet besser geschlafen.«
»Meinte deine Mutter auch. Indes, der lange Schlaf kommt noch früh genug, und es gibt Angelegenheiten zu regeln. Dieser Magister Jakob scheint ein fähiger Jurist zu sein.«
»So sagt sein Ruf.«
»Er wird die Brautschatzfreiung ordentlich vorbereiten.«
»Das nehme ich an. Ich vertraue ihm.«
»Vorsicht muss man immer walten lassen. Aber gehen wir
davon aus, dass er weiß, was er tut, Kind, so muss doch noch immer der Rat dem Antrag zustimmen.«
»Ja, das ist die Voraussetzung. So hat er es mir erklärt.«
»Im Rat sitzen einige … unbewegliche Geister.«
»Der Herr hat die Gaben nach seinem Wunsch verteilt.«
»Richtig. Sollten sie Schwierigkeiten haben, dem Antrag zuzustimmen, wünsche ich, dass du mir Bescheid gibst.«
»Nein, Herr Vater. Das ist eine Angelegenheit, die ich selbst regeln möchte.«
»Sei nicht stur, Tochter.«
»Ich bin nicht stur, Herr Vater. Nur kann ich mich nicht immer hinter Eurem Rücken verkriechen.«
Ivo vom Spiegel nahm überraschenderweise ihre Hand. Sie hatte erwartet, dass er ob ihrer Widerworte grollen würde, doch stattdessen sagte er: »Alyss, ich habe den großen Fehler gemacht, dich gegen Almuts Willen diesen verdammten van Doorne heiraten zu lassen. Mein Herz hat mich gewarnt, spät erst, aber noch nicht zu spät, diesen Fehler wiedergutzumachen. Gestatte es mir, mein
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