Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
abgenommen wurden und alles fertig war.
Angelos Sifakis war wie immer der Erste vor Ort. Er spürte sofort, dass etwas anders war als sonst, konnte es aber nicht benennen. Nachdenklich wanderte er in dem wunderschönen Morgenlicht durch den Raum und bemerkte die Treppe erst, als er direkt davorstand. Sie war so weiß wie die Wände der Zentrale, Camouflage sozusagen, und wand sich wie eine Spirale in das obere Stockwerk. Dort oben befanden sich die sehr großen, noch geschlossenen Abteilungen des neu eingeweihten Hauptquartiers von Europol.
Zögerlich nahm er die ersten Stufen. Auch sie waren weiß, kalkweiß, jungfräulich weiß, und er war sich auf einmal nicht sicher, ob er sie überhaupt betreten durfte. Er fühlte sich ihrer nicht würdig.
Aber dann gab er sich einen Ruck, nahm zwei Stufen auf einmal und ließ damit der Treppe wenigstens die Hälfte ihrer Unschuld. Am oberen Ende befand sich eine einzige Tür. Eine monumentale Tür. Vorsichtig berührte er sie. Da glitt sie mit hydraulischer Schwerelosigkeit auf, und Sifakis stand plötzlich in der Neuen Kathedrale.
Es war ein ganz besonderes Erlebnis. Der Architekt hatte seinen Auftrag sehr ernst genommen, und offenbar hatte dieser gelautet, eine exakte Kopie des ehemaligen Opcop-Konferenzraums im alten Europol-Gebäude zu errichten. Der Nachbau des alten Raums mit dem Spitznamen Kathedrale war formvollendet umgesetzt worden. Und dennoch war die Atmosphäre eine vollkommen andere. Hatte die alte Kathedrale noch einen bürokratischen Odem gehabt, herrschte in der Neuen Kathedrale eine fast schon sakrale Atmosphäre. Sifakis konnte sich nicht erklären, wodurch sie hervorgerufen wurde. Auch hier waren die siebenundzwanzig Bildschirme so geschickt in die mit Holzquadraten vertäfelte Wand eingelassen, dass nur ein geschultes Auge sie gleich erkannte. Und dennoch war irgendetwas anders.
Aber Angelos Sifakis kam nicht darauf, obwohl er mindestens eine Stunde allein in der Neuen Kathedrale saß, bis die Kollegen eintrafen. Es blieb ein Rätsel, auch als alle auf ihren Plätzen saßen. Alle waren in diesem Fall Paul Hjelm, Laima Balodis, Miriam Hershey und er selbst.
»Meine Güte«, sagte Hjelm. »Großer Raum, wenig Nähe. Wie in einer richtigen Kirche.«
»Navarro und Marinescu sind in Amsterdam«, meldete Sifakis. »Bouhaddi und Bruno auch. Beyer und Söderstedt haben im Stadtteil Amsterdam Oud-Zuid in den neuen Observationsräumen, die einem Unternehmen mit dem äußerst originellen Namen New Media N.V. gehören, Position bezogen. Ihren Berichten zufolge wird Notos Imports scharf bewacht. Der Italiener und sein offenbar ebenfalls italienischer Chauffeur haben das Gebäude bisher nicht wieder verlassen. Ein Teil der Ausrüstung aus der Lauriergracht wird in diesem Augenblick nach Oud-Zuid gebracht. Wir erlauben uns eine Schwerpunktverlagerung unserer Überwachungstätigkeit.«
»Danke«, sagte Paul Hjelm. »Arto Söderstedt lässt grüßen und Folgendes mitteilen: Notos war einer der sogenannten Anemoi, das waren in der griechischen Mythologie die Götter des Windes. Notos war der Sommerwind, der die warme Luft aus dem Süden trug. Arto behauptet mit Nachdruck, dass die Wahl des Namens nicht frei von Ironie sei. Und er sieht darin den Beweis, dass die ’Ndrangheta Humor hat.«
»Notos Imports ist ein im holländischen Handelsregister geführtes Unternehmen. N.V. heißt das hier, naamloze vennootschap , das sich angeblich dem Import von Südfrüchten verschrieben hat«, erklärte Sifakis. »Die holländischen Behörden haben bisher noch keine Auffälligkeiten vermerkt.«
»Südfrüchte, alles klar.« Paul Hjelm nickte. »Gab es bisher eine nennenswerte Kommunikation?«
»Wir hatten noch nicht die geeignete Ausrüstung, um das zu überprüfen«, antwortete Sifakis. »Wir erwarten mehr Informationen im Laufe des Tages.«
»Dann können wir uns so lange ja um etwas anderes kümmern«, sagte Hjelm. »Die Großaktion gestern hat uns schließlich nicht nur den Namen der lokalen Dependance der ’Ndrangheta geliefert, Notos Imports, sondern auch vermutlich deren Monatseinnahmen. Die Beträge auf einigen der Magnetstreifen scheinen mit der Geldmenge in dem Lagerraum übereinzustimmen. Wir sprechen hier von Millionen. Die Bettlermafia ist zurzeit wohl eine ausgesprochen einträgliche Branche, neben dem Waffen- und Drogenhandel.«
»Was machen wir mit dem Geld?«, fragte Balodis. »Ist es nicht an der Zeit zuzuschlagen?«
»Wir werden gegen die Bettlermafia
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