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Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Titel: Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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befand.
    Hier unten passierte wirklich nichts. Hier im Dunkeln.
    Dann hörte sie plötzlich Schritte über sich.
    Europa besteht und hat schon immer aus einem Flickenteppich versprengter Volksgruppen bestanden, die so lange isoliert gelebt haben, dass sie eigene Sprachen entwickelten. Unsere gemeinsame Geschichte ist immer von Krieg geprägt gewesen. Wenn Menschen dem Fremden begegnen, werden sie aggressiv – das ist die Lehre, die wir aus der Geschichte ziehen. Wir streben nach Gleichgewicht, nach einem zeitlosen Zustand, aber wenn wir ihn erreicht haben, werden wir unruhig. Wenn etwas hinzukommt, das unser Gleichgewicht stört, bringt es diesen zeitlosen Zustand ins Wanken, nach dem wir uns zu sehnen glauben, und wir werden von Hass erfüllt. Krieg bricht aus, wenn wir das Gefühl haben, diese Zeitlosigkeit wäre bedroht. Aber nach Tausenden Jahren Krieg waren wir es leid – die unglaublichen, unbeschreiblichen Leiden des Zweiten Weltkriegs brachten uns zu der Einsicht, dass es so nicht weitergehen konnte. Wir versuchten eine Organisation zu gründen, die einen Krieg in Europa unmöglich machen sollte.
    Während Paul Hjelm über die Zuhörer und weiter zu Barrière sah, die gerade ihre Mineralwasserflasche öffnete, wurde vor seinem inneren Auge eine Farbe sichtbar. Er erkannte das Bild, bevor er die Farbe erkannte. Es erinnerte ihn an ein Versäumnis, an etwas, das er übersehen hatte. Es erinnerte ihn an etwas, das mit Nachlässigkeit zu tun hatte. Dann kam die Farbe. Sie war rot. Blutrot, doch das traf es nicht ganz, es war eher das Rot eines ... T-Shirts. Als sich Barrière das Wasser einschenkte, sah Hjelm, wer dieses T-Shirt getragen hatte. Es war ein sehr nervöser junger Mann gewesen. Zu nervös?
    Er sprintete los, über die Bühne, riss die Glastür auf, griff sich Marianne Barrières Glas, das sie gerade zum Mund führen wollte, lächelte ihr aufmunternd zu und nahm Glas und Flasche mit hinter die Bühne, hinter den schwarzen Vorhang. Dort stand Balodis mit gezückter Waffe. Er schüttelte den Kopf und reichte ihr das Wasser.
    »Der Bühnenarbeiter«, sagte er nur. Balodis schoss davon. Hjelm gab eine Meldung über Funk: »An alle, vergiftetes Mineralwasser. Erhöhte Alarmbereitschaft. Marek, Lagebericht?«
    »Im Moment nichts Auffälliges«, sagte Kowalewski vom obersten Rang. Barrière fuhr mit ihrer Rede fort, als ob nichts geschehen wäre. Im Auditorium war ein wenig Unruhe entstanden, leises Gemurmel.
    »Gut. Erhöhte Alarmbereitschaft! Es geht los !«
    Hjelm kehrte zurück auf die Bühne. Aus dem Augenwinkel registrierte er einen roten Schimmer, eine hastige Bewegung. In diesem Moment warf Marianne ihm einen Blick zu, während sie weitersprach:
    Das Problem ist, dass unsere Organisation sich in einem so hohen Maße von einem Friedensprojekt zu einem Unternehmensprojekt entwickelt hat. Es stimmt, dass wir stark sein müssen, um mit großen Wirtschaftsmächten wie den USA oder China zu konkurrieren, aber der Kapitalismus ist zu einer Ideologie geworden. Er war nie als Grundlage eines politischen Systems gedacht. Er ist nur dafür entworfen worden, Unternehmen effizient zu führen. Wenn er plötzlich zur Ideologie wird, entstehen unzählige unangenehme Nebeneffekte, weil der Kapitalismus unendlich viele blinde Flecken aufweist. Wir müssen die EU von den Kapitalisten zurückerobern und das ursprüngliche Friedensprojekt wieder in Angriff nehmen, das Projekt, das auf dem Gemeinschaftsgedanken gegründet war. Der Kapitalismus ist immer das Gegenteil von Gemeinschaft, der Kapitalismus als Ideologie propagiert, dass nur das Ich zählt. Wollen wir wirklich, dass die einzige treibende Kraft eines ganzen Kontinents darauf ausgerichtet ist, die eigenen Brieftaschen zu füllen? Haben wir das nicht schon hinter uns gelassen?
    Was Felipe Navarro von seinem blind geborenen Sohn gelernt zu haben glaubte, war ein feineres Gespür für die Welt. Er sah die Dinge heute mit anderen Augen. Dadurch, dass er so langsam lernte, wie er Sinneseindrücke in visuelle Eindrücke umwandeln konnte, war er manchmal beinahe der Ansicht, einen Röntgenblick entwickelt zu haben. Das war ihm in der Einsatzzentrale in der Lauriergracht nicht immer gelungen, und doch hatte er das Gefühl, auf der richtigen Spur zu sein.
    Aber was er jetzt gerade verspürte, war zunächst nur ein diffuses Gefühl. Paul Hjelm war gerade in den Glaskäfig gestürzt und hatte Marianne Barrière das Wasserglas entrissen. Eine Welle der Unruhe ging durch

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