Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
hörte Jannes Worte in seinen Ohren: »Konserven, Konserven, Konserven, das Einmachen war Mutters Lieblingsbeschäftigung. Aber du musst raus in den Erdkeller. Es gibt auch einen Brunnen in der Nähe, du weißt schon, so eine alte grüne Metallpumpe. Ach so, Grün kennst du nicht, aber Pumpe. Das Wasser ist in Ordnung, nach einer Weile.«
Er musste lange pumpen, bis der schlammige Geschmack verschwunden war, aber dann trank er direkt vom Hahn der Pumpe. Er fand einen Eimer, den er erst ausspülte und dann mit Wasser füllte. Darin hatten sich Schnecken angesiedelt, die spülte er weg. Setzte die Seife noch ein weiteres Mal ein. Die Kühle der Luft und die Mücken deuteten darauf hin, dass es vermutlich mitten in der Nacht war.
Die Zeit, in der er besser sah als alle anderen.
Er holte sich Konserven aus dem Erdkeller, hatte aber Schwierigkeiten, sie zu unterscheiden. Alles schmeckte gleich. Bis auf den Kaffee. Es gab tatsächlich Kaffee. Zuerst kochte er nur ein bisschen, als Test. Das Ergebnis schmeckte unerwartet gut. Oder aber sein Koffeinbedarf sorgte dafür, dass seine Qualitätsansprüche gesunken waren.
Er schlief ein wenig, dann ging er auf Entdeckungstour, Gehör und Gespür in Alarmbereitschaft, ebenso der Geruchssinn, aber da war nichts. Es gab keine Menschenseele in der Nähe, dessen war er sich vollkommen sicher. Dennoch ließ er noch einen Tag verstreichen, ehe er es wagte, baden zu gehen.
Und ausgerechnet jetzt verliert er die Seife. Sie segelt davon wie ein verlassenes Geisterschiff, und er wagt es nicht, nach ihr zu suchen. Stattdessen steigt er aus dem Wasser. Sauber, aber enttäuscht. Er findet ein Handtuch. Eigentlich ist es ein bisschen zu rau für ein Handtuch, es fühlt sich eher wie Segeltuch an, aber für Mander Petulengro ist es ein Handtuch. Er hat es dazu ernannt. So wie er das Universum zu seinem macht, indem er es umformt.
Im Haus trocknet er sich sorgfältig ab und kocht sich noch einen Kaffee. Als der Kaffee fertig und das Mahl für den Nachmittag bereitet ist – Konserven, Konserven, Konserven –, geht er zu seinem Gitarrenkoffer. Er hebt die Gitarre heraus, legt sie zur Seite und holt etwas bedeutend Kleineres aus dem Innenfutter.
Ein Handy.
Ein Smartphone. Nicht ganz so smart, wenn man blind ist, denn es gibt keine Knöpfe, der Tastsinn ist nicht einsetzbar. Aber er hat gelernt, das Telefon zu bedienen. Auch im ausgeschalteten Zustand, so wie jetzt. Janne hatte ihm dabei geholfen, die metallische Stimme einzustellen.
Mander will das Handy gar nicht einschalten. Er hat Angst, dass es Strahlen aussendet. Flugmodus, hatte Janne gesagt, dann dürfte es keine Strahlung haben, was diese Strahlung auch immer sein mochte.
Während er sich auf den Weg zum Küchentisch macht, spricht die metallische Frauenstimme zu ihm.
Er setzt sich hin, streicht mit der Hand über den Tisch, um sicherzugehen, dass keine weitere Fledermaus tot heruntergefallen ist. Als er die Hand hebt, steigt ein zarter Seifengeruch in seine Nase. Gestern hatte er den Tisch mit Seife abgewaschen.
Ihm fehlt die Seife.
Er drückt die kleine Erhebung an der Seite des Smartphones. Die metallische Frauenstimme schnarrt zuerst »Voice Memo«, dann folgt »Two twenty-four a. m. June thirtieth«, und unmittelbar danach erklingt eine männliche Stimme, die im gebrochenen Englisch sagt: »Lassen Sie uns doch vernünftig sein. Was wollen Sie von mir?«
Eine andere, viel dumpfere Stimme antwortet: »Dass Sie sich von diesen Ergebnissen distanzieren, Herr Professor. Sobald die Testergebnisse eintreffen, müssen Sie ...«
Mander Petulengro schaltet die Audiodatei wieder aus, er kennt sie bereits auswendig. Sein Zeigefinger streicht sanft über das Gerät. Jetzt erklingt die Frauenstimme erneut: »Nine forty-seven a. m. June thirtieth«. Und dann hört er Jannes krächzende Stimme in unerwartet gutem Englisch. Vielleicht, denkt Mander, ist Janne früher wirklich Schriftsteller gewesen.
»Verdammt«, sagt Janne. »Du hast ja eine ganz schöne Reise hinter dir.«
»Vermutlich«, antwortet Mander Petulengros Stimme.
Er erkennt sie kaum wieder.
»Du bist also während des Krieges durch das ganze beschissene Jugoslawien gewandert?«, fragt Janne. »Auch durch Slowenien? Da ha es doch angefangen, oder? Im Juni 1991?«
»Nein«, sagt Manders Stimme. »Meine Reise begann im August 1992. Ich bin via Timişoara über die Berge nach Serbien gewandert. Ich habe überlebt, weil ich Gitarre gespielt und Lieder über die
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