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Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Titel: Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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aber als ich dich sah, musste ich an die Worte denken, mit denen Demodokos vorgestellt wird: Jetzo kam auch der Herold, und führte den lieblichen Sänger, / diesen Vertrauten der Muse, dem Gutes und Böses verliehn ward. / Denn sie nahm ihm die Augen, und gab ihm süße Gesänge .«
    »Wovon singt er denn?«
    »Drei Gesänge, soweit ich es erinnere, einer davon ist sehr traurig. Das Wichtigste ist aber, dass viele glauben, dass Demodokos das Selbstporträt von Homer ist. Die Legende besagt, dass auch Homer ein blinder Barde gewesen ist. Der nach einer langen Reise durch die Länder um das östliche Mittelmeer in seine Heimatstadt zurückkehrte und sich dort zur Ruhe setzte. Auf der Insel Chios, im Ägäischen Meer vor der türkischen Küste. Dort findet sich der Ursprung aller Erzählungen.«
    Mander spürte Jannes Lächeln bei den letzten Worten. Als hätte sich in diesem Augenblick ein anderer Mensch durch seine verwahrloste Hülle ans Licht gedrängt. Ein jüngerer Mensch, sein wahres Ich. Er hätte gerne sein Gesicht berührt.
    Als Janne sich wieder gefangen und zu seinem alten Ich gefunden hatte – verkommen, von Bitterkeit und Giften zerfressen –, fragte er: »Wo hast du deine Gitarre?«
    »Ich habe sie in einem Müllcontainer versteckt.«
    »Lass uns von hier abhauen, diese beschissene Heilsarmee, dann holen wir die Gitarre und planen weiter. Vor allem, was du mit dem Handy machen sollst ...«
    »Das will etwas von mir«, sagt Mander jetzt. »Es kam in einem Schwall von Blut. Es will etwas Wichtiges von mir.«
    »Dann musst du weiterziehen.«
    »Ich habe Chefs, Herrscher. Die lassen mich nicht einfach gehen. Und sie werden mir dieses Telefon abnehmen.«
    »Es gibt da eine Hütte ...«
    »Eine Hütte?«
    »Eine verfallene Hütte, ein kleines dreckiges Sommerhaus an einem See außerhalb von Gnesta. Da war niemand mehr, seit Mutter gestorben ist. Ich hätte die Scheißhütte verkaufen sollen, aber ich habe vergessen, wie das geht.«
    Mander Petulengro unterbricht die Aufnahme und schaltet zu der ersten zurück.
    Während ein nächtliches Telefonat zwischen zwei ihm unbekannten Männern abgespielt wird, taucht er in ein ausgebombtes Kellerloch, das sich in eine äußerst gemütliche Bleibe verwandelt hatte. Er sieht es vor sich, wie er alles sieht, mit dem ganzen Körper. Als wäre er dort. Wo die Liebe wohnte. Tagsüber knallte und donnerte es draußen. Explosionen, Schüsse, Granaten. Da blieben sie in ihrer kleinen heilen Ecke der Welt. Wenn die Salven weniger wurden und die Kühle der Nacht sich herabsenkte, verließen sie den Keller. Sie fanden etwas zu essen und zu trinken und führten ein schönes und gemütliches Leben. Es währte schon so lange, dass es ihnen wie eine Ewigkeit vorkam. Jeder war Teil des anderen. Sie bewohnten einander nahezu. Ihre Leben war zu einem verschmolzen. Er kannte jeden Winkel ihrer Haut, jede Erhebung ihrer äußeren Hülle. Da waren nur Mander und Luminitsa. Luminitsa und Mander, und es gab nichts sonst. Schon gar kein Sarajevo.
    Es war ein träger Morgen. Später Vormittag, wie sonst auch, sie waren ja nachts immer unterwegs. Denn dann sahen sie besser als alle anderen. Mander spürte, dass es kurz vor halb zwölf war. Er streckte sich und tastete nach Luminitsa. Sie war da, er hörte, wie sie sich streckte, er streichelte sie, sie räkelte sich unter seinen Händen. Ihre Berührungen waren so sanft, so exakt und aufeinander abgestimmt. Sie schliefen miteinander. Es war schöner als je zuvor. Dann drehte er sich auf die Seite, normalerweise schmiegte sie sich danach an ihn. Und nur kurze Zeit später glitten ihre Hände an seinem Körper entlang. Er sank in den süßesten Halbschlaf, den Schlaf nach gutem Sex.
    Jetzt müsste er eigentlich ihre Hände auf seinem Körper spüren, ihr weicher Körper müsste sich an seinen schmiegen. Er drehte sich um. Und sie war nicht da. Er spürte, wie sie draußen auf der Straße vorbeischlich, ein Schatten vor dem zerborstenen Kellerfenster. Er meinte sogar, ihr glückseliges Lächeln spüren zu können, als läge sie noch in ihrem gemeinsamen Bett. Aber das war sie nicht. Dieses selige Gefühl hatte sie wohl glauben lassen, dass es mitten in der Nacht war.
    Aber das war es nicht. Es war der 5. Februar 1994, zehn Minuten nach zwölf Uhr mittags. Mander war gerade aufgesprungen, als er die Explosion hörte. Sie war massiv, die Wände des Kellers erzitterten. Später stellte sich heraus, dass ein 120-mm-Mörsergeschoss auf dem

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