Nekropole (German Edition)
Nachdenklich? Erschrocken?
»Was?«, fragte Andrej scharf.
Statt zu antworten, hob Abu Dun die künstliche Hand und berührte seine Wange. Andrej tat dasselbe und ertastete drei haardünne parallele Linien aus verkrustetem Blut, die sachte brannten, als er sie berührte, so, als wären die Kratzer frisch.
»Nur eine Schramme«, sagte er. »Falls ich jemals auf die Idee kommen sollte, mir ein Haustier zuzulegen, erinnere mich bitte daran, dass es ganz bestimmt keine Katze ist.«
Er wurde nervös, als Abu Dun ihn weiter anstarrte, und hob noch einmal die Hand, um mit den Fingernägeln das verkrustete Blut von seiner Wange zu knibbeln. Darunter kam frisches Blut zum Vorschein, das an seinem Gesicht hinablief, und das Brennen nahm an Intensität zu.
»Das war keine Katze«, sagte Abu Dun.
Andrej wischte das Blut mit dem Handrücken weg und drehte sich ohne ein Wort wieder zu Hasan um, der auf eine Art in die leere Nische starrte, die ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Er musste nicht fragen, ob er etwas von dem kurzen Gespräch mitbekommen hatte.
»Du hast es an einen sicheren Ort gebracht«, vermutete er.
»Ich war dumm genug, zu glauben, es gäbe einen sichereren Ort auf der Welt als den, den niemand kennt«, bestätigte er.
»Den Vatikan«, sagte Andrej.
»Wohin wir jetzt leider nicht mehr können«, fügte Abu Dun höchst überflüssigerweise hinzu.
»Es gibt noch andere Wege an unser Ziel«, sagte Hasan, »aber sie sind gefährlich, und wenn wir entdeckt werden, dann könnte es …«
»Blutig werden«?, half Abu Dun aus, als Hasan nicht weitersprach. Andrej hob die Hand und tastete mit den Fingerspitzen über die tiefen Schrammen, die Aylas Fingernägel ihm zugefügt hatten. Sie waren schon wieder mit eingetrocknetem Blut verkrustet. Diesmal kratzte er es nicht ab.
»Ja«, gestand Hasan ganz ungeniert. »Aber das ist nicht der Grund, aus dem ihr hier seid. Ich heuere niemanden an, um zu töten.«
»Weil du selbst genug ausgebildete Mörder hast«, sagte Abu Dun.
»Ich brauche nicht dein Schwert, mein Freund«, antwortete Hasan bitter. »Und auch nicht deines, Andrej. Und ich wünschte mir auch, gar keines zu brauchen. Lasst uns beten, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.«
»Zu welchem Gott?«, fragte Abu Dun.
»Das reicht, Pirat«, sagte Andrej scharf.
»Schon gut.« Hasan hob besänftigend die Hand. »Dein Freund hat jedes Recht, so zu reden. Vielleicht hätte es jemand schon viel eher tun sollen.« Er gab sich sichtlich einen Ruck und sprach mit veränderter und nun wieder fester Stimme weiter. »Und nun lasst uns gehen. Noch ist nicht alles verloren, aber unsere Zeit wird allmählich knapp.«
Andrej folgte ihm nur zu gerne aus dem unheimlichen Gewölbe und die steile Treppe wieder nach oben. Auf Höhe der unterirdischen Kirche angekommen, musste Hasan einen Moment innehalten, um wieder zu Kräften zu kommen. Abu Dun nutzte die Zeit, um noch einmal für einige Momente in der halb verschütteten Kirche zu verschwinden und dort lautstark herumzupoltern. Er wirkte enttäuscht, als er zurückkam.
»Hast du etwas gefunden?«, erkundigte sich Hasan.
»Leider nicht, Heiliger Vater«, antwortete Abu Dun. »Nichts zum Stehlen, nichts zum Zerstören oder Plündern, nicht einmal etwas zum Schänden. Dieser Ort meint es nicht gut mit einem ehrlichen Piraten wie mir.«
Andrej verdrehte nur stumm die Augen, aber Hasan gestattete sich eines seiner seltenen Lächeln und nickte dem Mann neben sich zu, damit er weiterging. Seine hilfreich ausgestreckte Hand ignorierte er wie schon auf dem ersten Stück nach oben und ging schwer auf seinen Stock gestützt und aus eigener Kraft weiter. Der Assassine, dessen Hilfe er ausgeschlagen hatte, folgte zwei Stufen unter ihm, um sofort zugreifen zu können, sollten ihn die Kräfte verlassen, während die anderen vorauseilten und schon außer Sicht waren, bevor sie die Sakristei erreichten. Täuschte sich Andrej, oder hatten es selbst diese gestandenen Krieger eilig, diesen unheimlichen Ort zu verlassen?
Auch das Kirchenschiff war leer. Lediglich ein einzelner Assassine stand vor dem schlichten Altar und wartete auf sie. Das Sonnenlicht, das durch die offen stehende Tür hereinfiel, erschien ihm als der wundervollste Anblick, den er jemals gehabt hatte. Jetzt erst, im Nachhinein, dafür aber umso deutlicher, spürte er: Etwas war dort unten gewesen, das ihm schier den Atem abgeschnürt hatte, seinem Leib und seiner Seele.
Wie es die Art der
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