Nekropole (German Edition)
verschließen, die mit ihm vorging. Abu Duns Frage war nur zu berechtigt gewesen. Nichts war in Ordnung.
»Und wenn er nicht auftaucht?« Natürlich konnte Abu Dun es sich nicht verkneifen, diese Frage zu stellen. Und Ali nicht, hinzuzufügen: »Ich habe diesem verlogenen Schmuggler nie getraut.«
»Wir warten noch eine kleine Weile«, bestimmte Hasan. »Wenn sie nicht auftauchen, dann gehen wir allein weiter.«
»Das sollten wir gleich tun«, sagte Ali noch einmal. »Ich traue ihm nicht.«
»Aber nicht hier«, fuhr Hasan fort. Er warf zwar einen strafenden Blick zu Ali, tat dann aber so, als hätte er nichts gesagt.
Ali sah zwar noch ein bisschen finsterer drein, aber er protestierte kein drittes Mal mehr, sondern sah sich demonstrativ auf dem großen (und wie Andrej erneut voller Unbehagen feststellte, vollkommen menschenleeren) Platz um. Aus den Augenwinkeln bemerkte Andrej, wie der vorausgeschickte Assassine kehrtmachte und zurückkam. Etwas änderte sich. Jetzt.
»Ich habe Durst«, quengelte Ayla. »Und ich …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern begann unbehaglich von einem Fuß auf den anderen zu treten und legte die flache Hand auf den Bauch. Abu Dun feixte ganz ungeniert, während die meisten anderen Männer plötzlich nicht mehr wussten, wohin mit ihren Blicken. Hasan sah ein wenig verärgert aus. »Das hättest du wirklich vorher erledigen können«, tadelte er.
»Vorher musste ich aber noch nicht«, gab das Mädchen patzig zurück.
Hasan hob stumm die Schultern und sah sich kurz und ungeduldig um, bevor er über den Platz und auf eines der großen Tore des Kolosseums deutete. »Dann gehen wir dorthin«, bestimmte er. »Es ist ohnehin besser, wenn wir nicht noch länger hier herumstehen.«
»Nicht, dass wir am Ende noch auffallen«, pflichtete ihm Abu Dun bei, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu geben, die Häme aus seiner Stimme zu verbannen.
Hasan maß ihn mit einem vage vorwurfsvollen Blick, wies dann aber nur noch einmal stumm auf denselben Durchgang. Sie setzten sich in Bewegung, angeführt von dem Assassinen, der gerade schon einmal vorausgegangen war, um das antike Amphitheater zu erkunden.
Erneut – und jetzt noch viel stärker als gerade – überkam Andrej ein Gefühl der Unwirklichkeit, und Erregung packte ihn, als er gleich hinter Abu Dun unter dem gewaltigen gemauerten Torbogen hindurchging, der sich nicht nur unter seinem eigenen Gewicht zu ducken schien, sondern auch unter der unsichtbaren Last der Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende. Für einen einzelnen kurzen und schlimmen Moment wurde aus dem Gefühl eine Vision, aus dem Echo ihrer eigenen Schritte auf den morschen Bohlen das Stampfen der Todgeweihten, die diesen Boden mit ihrem Blut getränkt hatten, aus dem seidenweichen Rascheln des Staubes, den der Wind über die jahrhundertealten steinernen Sitzbänke trieb, das Murmeln und Wispern der Menge, die gekommen war, um Mord und Gewalt zu sehen und sich hinterher selbst einzureden, es wären Heldentaten gewesen, und aus dem Geruch nach heißem Stein und moderigem Holz der Gestank von Blut und Tod – und mit einem Male wollte er genau das, wusste er, dass er endlich nach Hause gekommen war. Hier, an diesen dem Tod geweihten und von den Sterbenden und Leidenden gesegneten Ort gehörte er.
»Hier gefällt es mir nicht«, sagte Abu Dun.
Niemand erwiderte etwas auf diese Worte, die auch gar nicht nach einer Antwort verlangt hatten, doch selbst das Schweigen, das er zurückbekam, schien von einer eigenen Qualität zu sein, die auf unmöglich in Worte zu fassende Weise von der Düsternis dieses Ortes durchdrungen war.
Hasan, der die Spitze der kleinen Kolonne bildete und auf seinen Stock gestützt ihr Tempo bestimmte, blieb abermals stehen und sah sich missgelaunt um. Dann deutete er auf einen Schatten unter der zerfallenden Tribüne, kaum ein Dutzend Schritte entfernt.
»Geh dorthin. Ali wird dich begleiten.«
»Und ich auch«, fügte Andrej hinzu.
»Das kommt überhaupt nicht in –«, begann Ali, wurde jedoch von Hasan sofort und in beinahe grobem Ton unterbrochen: »Macht es so. Wenn ihr zurück seid und Don Corleanis noch nicht aufgetaucht ist, gehen wir allein weiter.«
Ali ließ es sich nicht nehmen, ihm einen zornigen Blick zuzuwerfen und Abu Dun ein breites Feixen, aber keiner von beiden sagte etwas. Ali nahm die Hand nicht von Aylas Schulter, als er sie mit sanfter Gewalt in Richtung der Nische schob, auf die Hasan gedeutet hatte, aber sein Griff war
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