Nekropole (German Edition)
nicht zum ersten Mal.
Es war noch nicht einmal lange her, wenn auch am anderen Ende der Welt, Basreliefs und Hieroglyphen, in jenem unheimlichen Tempel in der Wüste, in dem er Abu Dun zu Grabe getragen hatte. Und später noch einmal und in weitaus besserem Zustand in der Festung des vermeintlichen Alten vom Berge, dem Ort seiner Wiedererweckung.
Und dort war es auch gewesen, wo er zum ersten Mal dieses verlockende Wispern und Kratzen in seinen Gedanken gespürt hatte.
»Ist sie deshalb hierher geflohen?«, fragte er.
»Ayla?« Hasan nickte traurig. »Hier habe ich ihn damals gefunden und den schlimmsten Fehler meines Lebens begangen, vielleicht den schlimmsten, den jemals ein Mensch gemacht hat. Sie weiß das. Sie muss geglaubt haben, er wäre immer noch hier. Sie ist ein Kind. Trotz allem.«
Auch wenn Andrej nicht wusste, wovon Hasan sprach, war er sich doch sicher, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Ayla war nicht nur hierher zurückgekommen, weil sie diesen Ort kannte oder etwas von für sie großer Wichtigkeit hier vermutete. Und sie war auch nicht mehr annähernd so sehr Kind, wie Hasan glaubte. Etwas war hier, etwas Uraltes und unvorstellbar Mächtiges, und das Mädchen spürte seine Anwesenheit ebenso deutlich wie er.
Und ein einziger Blick in Abu Duns Gesicht machte ihm klar, dass es dem Nubier ganz genauso erging. Er wirkte verwirrt und auf eine sehr beunruhigende Art nachdenklich. Vielleicht weckte dieser Ort ja auch in ihm Erinnerungen, die er lieber vergessen hätte.
Andrej wandte sich wieder an Hasan. »Was genau hast du damals hier gefunden?«
»Etwas von sehr großer Wichtigkeit für mich«, antwortete Hasan. »Das ist alles, was du wissen musst.«
»Wenn wir dir helfen sollen, etwas zu stehlen, dann wäre es vielleicht von Nutzen, wenn wir wüssten, was es ist«, gab Abu Dun zu bedenken.
Hasan schüttelte jedoch nur den Kopf. »Du missverstehst mich«, behauptete er. »Es geht nicht darum, etwas zu stehlen. Ich bin kein Dieb, Andrej Delãny. Ich muss etwas zurückbekommen, das einst mir gehört hat und niemals in die Hände anderer gelangen darf. Und ich muss es selbst tun, auch wenn ich dir nicht sagen kann, warum das so ist.«
»Wie geheimnisvoll«, sagte Abu Dun spöttisch. »Ich nehme an, du willst damit sagen, dass ich keine weiteren Fragen stellen soll, weil ich die Antwort sowieso nicht verstehen würde?«
»In gewissem Sinne schon«, bekannte Hasan, »wenn auch nicht so, wie du jetzt vielleicht glaubst. Wir sind nicht hier, um einen rostigen Nagel vom Kreuze unseres Herrn Jesus zu finden oder eine Locke der Jungfrau Maria.«
»Und was dann?«
Statt einer Antwort wandte Hasan sich um. »Komm.« Er ging zurück zur gegenüberliegenden Wand, sodass Andrej ihm folgen musste, ob er es nun wollte oder nicht. Das eine oder andere, dachte Andrej verärgert, konnte er tatsächlich noch von Hasan lernen.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass es nur ein Stück neben der Tür einen zweiten Durchgang gab – oder vielmehr etwas, das er auf den ersten Blick dafür hielt, auf den zweiten aber als knapp mannshohe Nische, die wohl einmal zugemauert gewesen war, erkannte. In die Wand zwischen Tür und Nische hatten die Hände eines vielleicht schon vor Jahrtausenden gestorbenen Künstlers eine gewaltige Dämonenfigur in den Stein gemeißelt, ein ziegenköpfiges Ungeheuer mit Klauen und Schweif, das bei hellem Tageslicht allenfalls grotesk gewirkt hätte; hier aber hatte sie etwas Diabolisches und durch und durch Erschreckendes. Die offenbar nachträglich in die Wand gebrochene Tür auf der einen und die später mit roher Kraft geöffnete Nische auf der anderen Seite hatten den Dämon beider Flügel beraubt, was dem Anblick noch eine zusätzliche düstere Symbolik verlieh.
Tausend Jahre alte Tonscherben zerfielen unter Abu Duns Stiefeln zu Staub, als er sich ihnen anschloss und erst Hasan, dann die leere Wandnische mit fragenden Blicken maß. Aus der Nähe und im Licht der jetzt wieder ruhiger brennenden Fackel erkannte Andrej, dass es sich um eine natürliche Vertiefung im gewachsenen Fels handelte, die jemand aber mit so großer Kunstfertigkeit zugemauert hatte, dass sogar die natürliche Struktur des Steins nachgeahmt war. Unmöglich zu erkennen, was sich einmal darin befunden hatte, aber viel mehr interessierte ihn im Moment die Frage, wie irgendjemand dieses Versteck hatte finden können.
Weil er gewusst hatte, wo er suchen musste.
Als er zu Abu Dun blickte, wirkte dieser … besorgt?
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