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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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allen vielleicht in ihm selbst wohnte: eine flüsternde Stimme, die jeden seiner Gedanken begleitete und stets auf einen Moment der Schwäche lauerte, um ihn Dinge tun zu lassen, die er nicht tun wollte. Aber das hier war etwas anderes. Er hatte das Gefühl, von einer Macht berührt worden zu sein, die älter war als die Schöpfung. Und die ihm nicht freundlich gesinnt war.
    »Nach dem Tempel eines uralten Gottes sieht das hier aber nicht aus«, sagte Abu Dun.
    »So wenig wie die Kirche oben«, antwortete Hasan. »Und doch ist es so. Seht.«
    Es waren nur wenige Schritte nötig, um den kleinen Raum zu durchqueren, der schon mit ihnen und den drei Assassinen beinahe beengt wirkte. Hasan trat an die gegenüberliegende Wand und hob seine Fackel, sodass ihr Licht über den Fels huschte und die Schatten darin zu flüchtigem Leben erweckte. Aber es waren nicht nur die Felsen. In den uralten Stein waren Muster und Symbole gemeißelt, grobe Bilder und verwirrende Hieroglyphen. Als Andrej genauer hinsah, war ihm, als erkennte er Gesichter, steinerne Fratzen und ziegenköpfige Dämonen und andere und noch viel grässlichere Dinge, die ihn anglotzten und voller diabolischer Vorfreude nur darauf warteten, dass er näher kam, um aus ihrem steinernen Gefängnis herauszuspringen und ihre Zähne in seine Seele zu schlagen.
    »Nur sehr wenige wissen es«, sagte Hasan, »aber auch das hier ist nicht das ursprüngliche Heiligtum. Es gibt andere, viel ältere Kultstätten noch weit unter unseren Füßen. Manche behaupten, die ältesten stammten aus einer Zeit, die noch vor der des Menschen lag.« Er wandte sich mit einer seiner kleinen Gesten an die drei Assassinen, die bei seinem Eintreten mit dem innegehalten hatten, was immer sie gerade getan hatten, und ihn nur stumm ansahen. »Lasst uns allein.«
    Die Männer zogen sich gehorsam und so lautlos wie Geister zurück. Einer versuchte, die aufgebrochene Tür hinter sich zu schließen, gab es aber nach dem dritten Scheitern auf, weil sie hoffnungslos verzogen war. Erst jetzt fiel Andrej auf, wie ungewöhnlich massiv diese Tür war, selbst für ein so altes Gebäude wie dieses – sie hatten ja sogar oben gehört, wie viel Mühe es den Männern bereitet hatte, sie aufzubrechen –, und auf den zweiten Blick gewahrte er etwas noch viel Beunruhigenderes: Die Tür hatte einen großen Riegel auf der Außenseite, so, als hätte man ihn angebracht, um etwas hier drinnen einzusperren.
    »Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass wir all das hier getan haben, weil du nach irgendeiner …
Reliquie
suchst?«, fragte Andrej leise, und ganz bewusst in einem Ton, den man als drohend auslegen konnte, es aber nicht musste.
    Hasans deutende Geste entfesselte ein weiteres rotes Lichtgewitter, das neue und unbekannte Schrecknisse im Stein zum Leben erweckte und wieder verschwinden ließ. »Glaubst du, dass die Menschen, die das hier gebaut haben, dumm waren, Andrej?«
    »Weil sie Götzen angebetet haben?« Andrej sah Hasan an, schon, um dem Starren der grässlichen Steingesichter zu entgehen. Dass er wusste, dass sie nur in seiner Einbildung existierten, änderte nichts an seinem Unbehagen.
    »Das solltest du vielleicht besser den Papst fragen.« Abu Dun legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Aber halt. Er ist ja tot, oder?«
    »Wir nennen sie Götzen«, fuhr Hasan unbeeindruckt fort, wenn auch mit einem leisen Lächeln. »Manche von uns halten auch dich und deine Landsleute für Götzenanbeter, mein Freund, und vielleicht wird irgendwann auch einmal eine Zeit kommen, in der man dasselbe über uns sagt. Es ist nicht wichtig, welchen Namen du Gott gibst und wie du betest. Was zählt ist,
dass
du zu Gott sprichst. Er hat viele Namen, und er spricht viele Sprachen.«
    Andrej zwang sich, noch einmal die groben Reliefarbeiten in den Wänden anzusehen. Ob Hasan auch die schrecklichen Kreaturen gemeint hatte, die ihnen Vorbild gewesen waren, und die blutigen Riten derer, die sie an diesem Ort angebetet hatten?
    »Wie gut, dass dir so etwas nicht über die Lippen gekommen ist, als du noch die Tiara getragen hast«, sagte Abu Dun.
    »Vielleicht habe ich das einmal zu viel gedacht«, flüsterte Hasan, viel mehr zu sich selbst als an den Nubier gewandt. Seine Hand begann zu zittern, und das unstete Huschen von Licht und Schatten hob von Neuem an. Erst wollte Andrej rasch den Blick abwenden, dann stutzte er. Als er genauer hinsah, fragte er sich verblüfft, warum es ihm erst jetzt auffiel.
    Bilder wie diese sah er

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