Nekropole (German Edition)
allein bin es, der sich schuldig gemacht hat. Ayla dagegen trifft keine Schuld.«
»Keine Schuld woran?«, fragte ihn Andrej.
»An dem, was dann geschah«, antwortete Clemens. »Nach dem Tod ihrer Mutter habe ich sie in die Obhut guter Menschen gegeben und Sorge dafür getragen, dass es ihr an nichts mangelt. Ich dachte wohl, dass ich mich auf diese Weise von meinen Sünden freikaufen könnte, naiv, wie ich damals war.«
»So einfach lässt sich Gott nicht bestechen, Guido«, empörte sich Altieri.
Clemens lachte, sehr leise und sehr bitter. »Gott hat damit nichts zu tun. Es wäre zu leicht, ihn für alles verantwortlich zu machen, was durch unser eigenes sündiges Verhalten und unsere Schwäche geschieht. Es war allein meine Entscheidung, mich ihrer Mutter hinzugeben und mein Gelübde zu brechen, nicht die Gottes und auch nicht die des Teufels. Ich habe gesündigt, und ich habe diese Sünde bis heute nicht bereut.«
»Dann ist deine Seele verdammt«, donnerte Altieri. »Lade nicht noch mehr Schuld auf dich.«
Andrej war beinahe froh, dass Abu Dun nicht dabei war. Vermutlich hätte er dem alten Narren die Zähne eingeschlagen. Aber wenn er noch einen Moment so weitermachte, dann würde er das ja vielleicht übernehmen, möglicher nächster Pontifex hin oder her.
»Es war in dem Jahr, in dem ich zum Papst gewählt wurde«, fuhr Clemens fort. »Ich konnte nicht zu ihr gehen, also fand ich einen Vorwand, ihre Pflegeeltern und sie nach Rom kommen zu lassen. Doch auf dem Weg hierher wurde ihr Wagen überfallen, und sie alle wurden getötet, bis auf Ayla und ihren Bruder. Ali konnte entkommen, meine Tochter ließen sie liegen, weil sie so schwer verwundet war. Sie wussten, dass sie noch am Leben war und litt, doch diese
Tiere
haben sie einfach liegengelassen.«
»In dem Jahr, in dem du Papst geworden bist?«, ächzte Altieri. »Aber das ist unmöglich! Seht euch dieses Kind doch an! Camerlengo! Fernando! Ergreift diesen Wahnsinnigen! Lasst nicht zu, dass er das größte Heiligtum der Christenheit noch weiter schändet! Ihr hört doch, dass er wirr redet!«
Fernando hätte sich nicht einmal dann rühren können, wenn er es gewollt hätte, denn Andrejs Hand lag noch immer auf seiner Schulter. Ein einziger Blick in Alis Augen sagte Andrej, dass Clemens die Wahrheit sagte. Er zeigte ihm auch noch mehr, nämlich dass Ali die Männer gesucht, die seiner Schwester das angetan hatten, und zur Verantwortung gezogen hatte, auf eine Art, die höchstens Abu Dun gefallen hätte und wahrscheinlich nicht einmal ihm.
»Mein Kind lag sterbend in meinen Armen«, sagte Clemens, mit leiser, heiserer Stimme. Die Worte galten weder Andrej noch Altieri, sondern einzig ihm selbst. Es war, als müsste er sie aussprechen, wollte er nicht an dem Schmerz zerbrechen, den die Erinnerung heraufbeschwor.
»Und dann hast du dich an das da erinnert«, sagte Andrej mit einer Kopfbewegung auf den goldfarbenen Becher, den Clemens in der Linken hielt.
Clemens nickte traurig. »Ich war ein Narr und blind vor Gram«, flüsterte er. »Ich habe ihn aus seinem Versteck geholt, in dem er mehr als ein halbes Jahrtausend sicher war. Und ich habe noch mehr getan.«
Erneut griff Kasim in seinen Mantel, dessen Taschen schier unergründlich zu sein schienen, und zog einen zweiten, kleineren und schäbigeren Becher hervor, den Andrej nur zu gut kannte. Und er wusste, dass der dreieckige Splitter darin genau dem Teil entsprach, der aus seinem größeren Gegenstück herausgebrochen war. Für einen Moment wurde es sehr still.
Dann keuchte Altieri: »Du … Du hast ihn … zerstört? Du hast Hand an ihn gelegt, du Wahnsinniger? Was hast du getan? Du hast Gottes Zorn auf uns alle …«
»Schweig, du Narr«, unterbrach ihn Ali, mit einer Stimme, die nicht einmal besonders laut war, aber so schneidend wie eine Messerklinge. »Was fällt dir ein, so etwas auch nur zu
denken?«
»Der Kelch war schon angeschlagen, als er hergebracht wurde«, sagte Clemens, als wäre nichts gewesen. »Meine Sünde war es, den Splitter aus ihm zu entfernen und mitzunehmen, und meine größte Dummheit, zu glauben, Gottes Plan überlisten zu können. Meine Tochter hat den Preis für meinen Hochmut bezahlt.«
»Das ist Gotteslästerung!«, krächzte Altieri. »Du Ketzer! Was geschehen ist, das ist die gerechte Strafe für deinen Frevel!«
Clemens drehte ganz langsam den Kopf und sah auf ihn herab, und in seinen Augen erschien ein Ausdruck, der selbst Andrej einen eisigen Schauer über
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