Nekropole (German Edition)
vergangenen Abend waren immer noch lückenhaft, und diese Lücken würden sich auch nicht wieder füllen. Abu Dun und er hatten noch eine geraume Weile miteinander gestritten (er erinnerte sich nicht mehr, worüber) und dabei mehr als einen Krug Bier geleert. Er war tatsächlich
betrunken
gewesen, was nicht nur peinlich war, sondern durch und durch erschreckend. So etwas
konnte
ihm gar nicht passieren!
So wenig, wie er eine Verwundung davontragen konnte, die nicht heilte, sondern seinen Körper nach und nach von innen heraus auffraß.
»Habe ich …?«
»Etwas getan, das dir peinlich sein müsste?« Ali schüttelte den Kopf, und ein böses Funkeln erschien in seinen Augen. »Dein schwarzer Freund hat dich irgendwann weggebracht. Was danach geschehen ist, weiß ich natürlich nicht, aber …«
»Du solltest jetzt besser nicht weitersprechen«, fiel ihm Andrej ins Wort. Er rechnete fest damit, dass Ali nun endgültig aus der Haut fuhr (fast wünschte er es sich sogar), doch der Assassinen-Hauptmann kräuselte nur verächtlich die Lippen und nahm betont langsam die Hand vom Schwert, um eine spöttisch-einladende Geste zu machen. Eine abschließende hämische Bemerkung konnte er sich jedoch nicht verkneifen.
»Wenn du dich in der Lage fühlst. Ich kann Hasan natürlich auch gerne sagen, dass du noch etwas Zeit brauchst.«
Andrej ging wortlos an ihm vorbei und meinte, seine anzüglichen Blicke im Rücken zu spüren, während er das Gasthaus ansteuerte.
Er hatte noch nicht die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als er Lärm und aufgeregte Stimmen hinter sich hörte. Er hielt inne und drehte sich um. Don Corleanis hatte in Begleitung zweier uniformierter Männer in Waffen den Hof betreten und redete auf sie ein, mit dem linken Arm heftig gestikulierend. Den anderen trug er in einer breiten Schlinge und die Hand in einem dicken Verband aus golddurchwirktem Tuch.
Andrej wechselte einen fragenden Blick mit Ali, bekam nur ein Schulterzucken zur Antwort und überlegte, hinzugehen und zu fragen, was dieser unerwartete Besuch bedeutete. Hatte Don Corleanis nicht erst vor wenigen Stunden vollmundig behauptet, dass sich nicht einmal das Militär ohne seine ausdrückliche Erlaubnis in dieses Viertel wagte?
Wahrscheinlich hätte er es sogar getan, wäre nicht in diesem Moment die Tür aufgegangen und Hasan herausgekommen, schwer auf seinen Stock gestützt und mit den Bewegungen eines uralten Mannes. Anders als gestern trug er jetzt einen reich bestickten Turban und einen Mantel, eben ganz die Kleidung des reichen arabischen Kaufmannes, den er spielte. Hinter ihm trat einer seiner Assassinen-Leibwächter ins Freie, nun wieder ganz in Schwarz gehüllt und die Hand offen auf dem Krummsäbel. Schließlich kam auch noch Abu Dun heraus, leicht nach vorne gebeugt und mit hängenden Schultern, um seine wahre Größe zu verbergen. Trotzdem sahen die beiden Uniformierten einen Moment lang verblüfft in seine Richtung, bevor es Corleanis gelang, ihre Aufmerksamkeit mit hektischem Gestikulieren wieder auf sich zu lenken.
Mit schleppenden Schritten kam Abu Dun auf ihn zu, statt sich Hasan anzuschließen. Andrej wappnete sich gegen einen weiteren Schwall von Vorwürfen oder auch gehässigen Bemerkungen, je nachdem, in welcher Stimmung der Nubier gerade war. Abu Dun blieb jedoch nur zwei Schritte vor ihm stehen und neigte tief den Kopf, um für die beiden Fremden den Sklaven zu mimen.
»Wie geht es dir?«, begann er übergangslos und in besorgtem Ton.
»Gut«, schnaubte Andrej. »Warum zum Teufel fragt mich das heute eigentlich jeder?«
»Weil du so aussiehst, dass einem diese Frage gleich in den Sinn kommt«, antwortete Abu Dun.
Andrej funkelte ihn zornig an, aber er fühlte sich nicht in der Verfassung, diesem Zorn angemessen Ausdruck zu verleihen. Stattdessen deutete er zu Hasan und dem Assassinen hin, die sich mittlerweile zu den Uniformierten gesellt hatten. Corleanis hatte aufgehört, nach nicht existierenden Fliegen zu schlagen, und Hasans Gesicht konnte er nicht erkennen. Aber einer der beiden Soldaten starrte noch immer Abu Dun an. Vielleicht auch ihn.
»Das weiß ich nicht«, antwortete der Nubier. »Aber Hasan möchte, dass du dich zurückhältst. Er ist ein bisschen in Sorge. Und ich auch.«
»Aber haben wir denn nicht einen mächtigen Beschützer, vor dem die ganze Stadt zittert?«
»Um dich«, sagte Abu Dun ernst. »Und ich auch.«
»Um mich?«
»Du warst betrunken. Ich musste dich ins Bett tragen.«
»Sind
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