Nekropole (German Edition)
zusammen. Vom gestrigen Abend schienen ihm tatsächlich einige Augenblicke zu fehlen. Offenbar hatte er sich in seinen Kleidern und sogar Stiefeln auf das Bett gelegt, und unter seinem rechten Fuß hatte sich ein hässlicher dunkler Fleck gebildet, der nach Blut und Eiter stank. Ihm war, als würde der pochende Schmerz in seinem Bein stärker.
Hastig griff er nach der Decke und warf sie über das Bein. In Aylas Augen erschien ein besorgter Ausdruck.
»Du solltest wirklich zu einem Doktor gehen«, sagte sie. »Dieser dicke Schmuggler sagt, er kennt einen Arzt, den er rufen kann.«
»Ich brauche keinen Arzt«, antwortete Andrej unwirsch, doch sofort tat ihm sein rüder Ton leid.
Doch Ayla nahm es ihm anscheinend nicht übel. »Das sagt Hasan auch«, sagte sie. »Aber das da sieht anders aus.«
Damit hatte sie recht, doch ihm konnte kein Arzt der Welt helfen, was er ihr unmöglich sagen konnte. Zorniger auf sich selbst als auf das Mädchen schwang er die Beine dergestalt von der Liege, dass die Decke sein blutendes Bein immer noch verbarg.
»Bist du nur hergekommen, um mich in Verlegenheit zu bringen?«, knurrte er, wollte noch mehr sagen und schluckte ein paarmal hastig, als ihm erneut durch die plötzliche Bewegung schwindelig wurde. Übelkeit stieg in ihm auf.
Zu der Sorge in Aylas Augen gesellte sich ein spöttisches Funkeln. »Dein Freund hatte wohl recht«, sagte sie.
»Womit?«, brummte Andrej. Die Übelkeit war so schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen war, aber sie hatte einen widerlichen Geschmack in seinem Rachen zurückgelassen, und das Schwindelgefühl plagte ihn noch immer.
»Dass ihr gestern Abend vielleicht doch einen Becher oder zwei zu viel getrunken habt«, antwortete sie. »So machen Männer das doch, nach einer gewonnenen Schlacht, oder?«
»Manchmal auch nach einer verlorenen«, antwortete Andrej und fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Was redete sie da für einen Unsinn? Sowohl Abu Dun als auch er hatten nichts gegen Wein oder Bier und sprachen beidem auch gerne zu, wenn sich die Gelegenheit ergab, aber Alkohol wirkte nur auf sie, wenn sie es zuließen, und die unangenehmen Folgen eines Rausches blieben ihnen gänzlich erspart. Es war vollkommen unmöglich, dass er unter dem litt, was der Volksmund so euphemistisch einen
Kater
nannte.
»Ja, und wenn ich dich so ansehe, dann verstehe ich immer weniger, wie ihr jemals eine Schlacht gewinnen konntet«, stichelte Ayla. »Hat dir dein großer Freund nicht gesagt, dass der Prophet den Genuss von vergorenem Traubensaft verboten hat?«
»Wer hat gesagt, dass es ein Genuss war?«, brachte Andrej zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. »Außerdem wird Bier nicht aus Trauben gemacht.«
Es war ja nicht so, dass er Ayla nicht im Stillen recht gab. Sein Kopf dröhnte, ihre Stimme war viel zu laut und schriller, als er sie in Erinnerung hatte, und Schwindel und Flauheit waren zwar nicht wirklich quälend, aber von einer Art, die ihm klarmachte, dass sie nicht so schnell vergehen würden. Wenn das der Preis war, den Sterbliche für einen flüchtigen Rausch bezahlten, dann verstand er den Propheten immer besser.
»Aber du bist nicht hier, um mich zum Islam zu bekehren, oder?«, fragte er.
»Nein.« Ayla wirkte plötzlich ein bisschen verlegen. Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Ich weiß, ich hätte es schon gestern tun sollen, aber ich war so aufgeregt und durcheinander. Ich möchte mich bei dir bedanken.«
»Wofür?«
»Du hast mir das Leben gerettet.«
»Ja, das stimmt wohl.« Andrej unterdrückte mit einiger Mühe ein Gähnen und hätte fast vor Schmerz aufgestöhnt, als er aufstand und den Fuß belastete. Wie zum Teufel sollte er so laufen, geschweige denn kämpfen? »Aber du musst dich nicht bedanken. Das ist mein Beruf, weißt du?«
»Verschleppte Sklavinnen aus dem Gefängnis des Papstes retten?«
»Die Unschuldigen und Wehrlosen zu verteidigen.« Andrej machte einen vorsichtigen Schritt und wartete auf einen noch schlimmeren Schmerz. Er wurde nicht enttäuscht, aber es ging. Er hatte schon viel Schlimmeres ertragen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ayla wich noch einen weiteren Schritt vor ihm zurück, bis sie beinahe wieder mit dem Rücken an der Tür stand. Andrej sah eine Weile schweigend auf sie hinab und fragte dann geradeheraus: »Was willst du wirklich?«
»Nichts. Ich bin nur …«
»Weiß Ali, dass du hier bist?«
Ayla schwieg. Er konnte jetzt nur noch hören, wie sie sich bewegte, denn
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