Nekropole (German Edition)
verständnislos die Stirn. Der Wirt beugte sich neugierig über Kasims Schulter, um ihm bei seinem Tun zuzusehen.
»Auch ich bin nur ein Mensch, ganz gleich, was so viele glauben mögen«, sagte Hasan in derselben Sprache. »Und hier steht mehr auf dem Spiel als das Leben eines einzelnen Menschen.«
»Oder derer, die auf dem Weg hierher bereits ums Leben gekommen sind«, sagte Abu Dun, selbstverständlich auf Italienisch.
Hasan lächelte dem nubischen Riesen traurig zu. »Und noch sehr viel mehr, mein Freund«, sagte er, wieder in dieselbe Sprache wechselnd. »Ihre Leben lasten schwer auf meiner Seele, und nicht mehr lange, dann werde ich vor dem Thron unseres Herrn stehen und mich rechtfertigen müssen. Dennoch muss ich es tun.«
Der verletzte Assassine schien ihm mit einem gedämpften Stöhnen beizupflichten, woraufhin Kasim kurz in seinem Tun innehielt und ihm besorgt ins Gesicht sah. »Ist alles in Ordnung?«
»Nein«, brachte der Mann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Mach … weiter.«
Der Wirt schnaubte zustimmend und beugte sich noch weiter vor.
»Was ist so wichtig an deinem …
Schatz,
Hasan?«, fragte Andrej. Er spürte, dass Hasans Schmerz echt war. Er trauerte um jeden einzelnen Toten.
»Du hast erlebt, was in Jaffa geschehen ist«, erwiderte Hasan, »und auf dem Schiff. Möchtest du, dass es auch in dieser Stadt passiert? Oder in allen Städten?«
»Jetzt übertreibst du«, sagte Andrej.
»Natürlich«, gestand Hasan unumwunden. »Aber nicht so sehr, wie ich es mir wünschen würde. Das alles ist meine Schuld, Andrej. Ich habe mit Dingen gespielt, mit denen ich nicht hätte spielen sollen, und eine schreckliche Gefahr heraufbeschworen.«
In diesem Moment stieß der Assassine einen Schrei aus, der nicht aus einer menschlichen Kehle zu stammen schien, und bäumte sich vor Pein auf. Jedenfalls war es das, was Andrej zunächst annahm.
Als er seinen Irrtum erkannte, war es zu spät.
Der Krieger, in dem kein Leben mehr war, fuhr mit einem Gurgeln in die Höhe, machte blitzartig einen Satz über den Tisch und griff mit beiden Händen nach Kasim, der mit einem entsetzten Keuchen zurückwich und so wuchtig gegen den Wirt stieß, dass er mitsamt seinem Stuhl zur Seite kippte und umfiel.
Statt in Kasims Gesicht krallten sich die Finger des Assassinen in das zerschlissene Wams des unglückseligen Wirts, sodass er nach vorne und mit solcher Gewalt auf die Tischplatte geschmettert wurde, dass Blut und Zahnsplitter spritzten. Und noch bevor Andrej begriff, was geschah, geschweige denn etwas dagegen tun konnte, gruben sich seine Zähne in die Kehle des unglückseligen Gastwirts und rissen sie in einer Fontäne aus Blut und Fleischbrocken heraus.
Abu Dun heulte auf, als hätte er selbst den grausamen Biss gespürt, riss den toll gewordenen Assassinen mit beiden Händen von seinem Opfer weg, hoch über den Kopf, und schmetterte ihn mit solcher Gewalt gegen die Wand, dass sie vom Boden bis zur Decke riss. Doch für den Wirt war es längst zu spät. Er stolperte zurück, hob beide Hände an die Kehle, die nicht mehr da war, und versuchte zu schreien, brachte aber nur ein blubberndes Keuchen zustande und kippte dann wie von einem unsichtbaren Axthieb getroffen auf die Tischplatte, auf der er eine schmierig glänzende Blutspur hinterließ, als er zu Boden sank.
»Was zum
Schaitan
…?«, keuchte Abu Dun und starrte den Assassinen-Krieger ungläubig an.
In seinem Leib konnte kaum noch ein unversehrter Knochen sein. Mühsam versuchte er, sich hochzustemmen, aber die zerschmetterten Beine gaben unter seinem Gewicht nach, und er fiel haltlos nach vorn. Doch sofort versuchte er es erneut, wie von unsichtbaren Fäden gezogen.
»Aber das ist doch …«, begann Abu Dun und brachte auch diesen Satz nicht zu Ende, denn Ali hatte seine Überraschung inzwischen überwunden und war mit einem einzigen großen Schritt bei ihm, stieß ihn grob beiseite und griff nach dem gewaltigen Krummsäbel des Nubiers. Noch bevor Abu Dun sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, schwang er die mächtige Waffe mit beiden Händen und enthauptete den toten Krieger. Vom Schwung seiner eigenen Bewegung und dem enormen Gewicht der Waffe nach vorne gerissen verlor er den Halt, prallte mit der Hüfte gegen den Tisch und wäre gestürzt, hätte Abu Dun ihn nicht festgehalten. Mit der einen Hand. Mit der anderen, eisernen entriss er ihm das Schwert, so heftig, dass Ali nun doch auf die Knie fiel und einen zischenden Schmerzenslaut
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