Nekropole (German Edition)
einbrachte. Statt jedoch eine scharfe Bemerkung hinzuzufügen, wandte sich der Mann, der sich Andrej und Abu Dun gegenüber als der Alte vom Berge ausgegeben hatte, nur mit einem tadelnden Kopfschütteln an das Mädchen.
»Das geht nicht, Ayla«, sagte er. »Du weißt, was auf dem Spiel steht. Wir können uns nicht auch noch um ein Haustier kümmern. Wenn alles vorüber ist, dann bekommst du von mir, was immer du willst.«
»So?«, schnaubte das Mädchen. »Was? Ist dir noch etwas eingefallen, das du mir wegnehmen könntest?« Sie zog die Beine an den Leib und umschlang die Knie mit den Armen, wodurch sie noch mehr wie ein verstocktes Kind aussah.
Unter ihnen rief jemand etwas, laut und zornig, dann polterte es, und Hasan verdrehte noch einmal die Augen und murmelte etwas, das sich wie »nicht schon wieder«, anhörte. Auf Italienisch, was Andrej eigenartig vorkam. Bevor aber einer von ihnen reagieren konnte, erscholl Kasims Stimme aus dem Erdgeschoss:
»Es ist alles in Ordnung. Ich war nur ungeschickt.«
War da ein Unterton von Furcht in seiner Stimme?, dachte Andrej. Und offensichtlich war er nicht der Einzige, dem es so erging, denn auch Abu Dun zog eine nachdenkliche Miene und sagte: »Das sehe ich mir lieber genau an.«
»Aber lass mich besser vorausgehen«, sagte Ali, indem er sich bereits unter dem niedrigen Türsturz hindurchbückte. »Nur, falls dort unten wieder eine wilde Bestie lauert.«
Hinter Ali und dem Nubier verließ auch er das Zimmer und blieb noch einmal stehen, als Hasan ihm zwar unverzüglich folgte, dann aber noch einmal anhielt, um die Tür hinter sich zu schließen und auch einen Riegel an der Außenseite vorzulegen, der Andrej bisher entgangen war. Er schien sehr viel neuer zu sein als die Tür. Plötzlich glaubte er zu wissen, warum der Assassine das Werkzeug bei sich gehabt hatte.
»Du schließt sie ein?«, fragte er.
Hasan überzeugte sich sorgfältig davon, dass der Riegel auch fest saß, bevor er antwortete. »Es muss sein, glaub mir. Sie ist verwirrt und sehr verängstigt.«
»Eines von beidem bin ich auch«, sagte Abu Dun. Niemand beachtete ihn.
Wie sich zeigte, war Kasim wohl tatsächlich nur ungeschickt gewesen, denn als Hasan und Andrej in die Gaststube kamen, richtete er gerade mit zerknirschter Miene einen Stuhl auf, dessen Poltern sie oben gehört hatten.
Der verletzte Assassine saß an einem der Tische, hatte die Zähne fest aufeinandergebissen und den Arm auf der Tischplatte ausgestreckt, damit sich Kasim daran zu schaffen machen konnte.
»Ist es schlimm?«, fragte Hasan knapp.
Kasim wollte antworten, doch der Assassine kam ihm zuvor. »Das ist wirklich nichts«, sagte er, mit einer Stimme, die das Gegenteil bewies. »Nur ein Kratzer.«
»Das ist es ganz und gar nicht, Dummkopf«, sagte Kasim. »Ich bin kein Arzt, aber ich kenne mich ein wenig aus …«
»Ha«, machte Abu Dun.
»… und ich kenne Kollegen, die sich zuweilen auch um Tiere kümmern. Weißt du, was die häufigste Todesursache bei meinen Kollegen ist, die sich
ausschließlich
um das Wohl der Tiere sorgen?«
»Dumme Fragen, die sie zur falschen Zeit stellen?«, fragte Abu Dun.
»Es sind weder tollwütige Hunde noch zornige Stiere oder austretende Hengste, wie man meinen sollte«, fuhr Kasim unbeeindruckt und weiter an den Assassinen gewandt fort, »sondern Katzenbisse. Die Menschen neigen dazu, sie nicht ernst zu nehmen, weil sie so harmlos aussehen und nicht mehr als Nadelstiche zu sein scheinen. Ist es nicht so?«
Der Mann sah ihn nur an. Schweiß stand auf seiner Stirn, und an seinem Hals pochte eine Ader.
»Die Natur hat unseren pelzigen kleinen Freunden eine ganz besonders heimtückische Waffe mitgegeben«, fuhr Kasim fort, der offensichtlich große Freude an seinem eigenen Vortrag hatte. »Ihre Bisse entzünden sich nur zu leicht, und einmal ausgebrochen, endet die Infektion sehr oft tödlich. Möchtest du das?«
»Nein«, antwortete Hasan anstelle des Assassinen. »Gewiss nicht. Also versorg bitte seine Hand, damit es gar nicht erst so weit kommt.«
Hasan hob die Hand, und Kasim hatte es nun sehr eilig, sich seinem Patienten zu widmen. Der Assassine biss die Zähne zusammen, und sein Gesicht erstarrte zu einer ausdruckslosen Maske, doch Andrej konnte hören, wie schnell sein Herz schlug, und seine Angst spüren. Unauffällig tauschte er einen Blick mit Abu Dun und bekam ein leichtes Kopfnicken zur Antwort. Auch der Nubier spürte, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmte.
»Setzen wir
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