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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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»Ist das diagnostiziert?«
    »Nein.«
    Doktor Weinheim musterte mich.
    »Und das bedeutet …?«
    »Dass wir auf Nummer sicher gehen.«
    Während Doktor Weinheim Nele untersuchte, erzählte ich ihr von Neles Aussetzern. Die Aggressionen ließ ich dabei außen vor. Die ganze Zeit spürte ich Rokkos Blick, aber er sagte nichts.
    Es kam ein weiterer Arzt dazu und warf einen Blick auf meinen Arm. Er tat weh. Aber noch mehr schmerzte die Erkenntnis, dass alles außer Rand und Band geraten war. Es schien keine Regeln mehr zu geben. Die Grenzen hatten sich verschoben, und ich wusste nicht, wohin.

eins
    Es roch antiseptisch und nach verbrannten Haaren. Die Wanduhr zeigte sieben Uhr morgens.
    An einem normalen Tag hätte Rokko mich jetzt zur Arbeit abgeholt, stattdessen saß ich auf einem Stuhl und hörte zu, wie ein Krankenhaus erwachte. Draußen im Gang quietschten Turnschuhe. Im Zimmer hörte man das leise Summen der elektronischen Geräte. Im Bett schlief mein Mädchen. Hinter dem Bett kam ein Schlauch aus der Wand, der in ihrer Nase verschwand. Um ihre Brandwunden zu versorgen, hatten die Schwestern an einigen Stellen ihren Schädel rasiert. An diesen Stellen klebten jetzt Pflaster. Nele sah mitgenommen aus, aber Doktor Weinheim meinte, sie hätte Glück gehabt. Sie hatte eine leichte Gehirnerschütterung, aber es gab keine Anzeichen einer Rauchvergiftung, und vor allem: keine Spur eines Gehirntumors. Doktor Weinheim hatte sie in die Röhre geschoben und uns zumindest diesbezüglich Gewissheit gegeben. Das Einzige, was ich sonst noch mit Sicherheit wusste, war, dass sie schlief. Regungslos mit halb offenem Mund. Ihre Brust hob und senkte sich regelmäßig. Aus schulmedizinischer Sicht war sie gesund. Die Ärzte wollten sie dennoch zur Beobachtung dabehalten und einen Lungenfunktionstest machen. Die Krankenschwester auf der Station hatte mir geraten, nach Hause zu fahren, da Nele nicht vor morgen früh aufwachen würde. Aber das hatte ich schon mal gedacht.
    Ich prüfte den Sitz ihres Fingerclips, mit dem dieSauerstoffanteile in ihrem Blut gemessen wurden. Der Clip saß gut. Gestern Abend hatte Mor sich von Mohammed herfahren lassen. Die Information, dass Neles Mutter umgebracht worden war, hatte sie schwer getroffen. Sie war mit Hans über zwanzig Jahre befreundet gewesen. Irgendwann hatte ich sie gebeten, nach Hause zu fahren und sich auszuschlafen. Vor einer halben Stunde hatte sie mir eine SMS geschickt, dass sie gleich vorbeikommen wolle.
    Ich kontrollierte den Clip noch mal. Er saß noch immer gut. Mein Kopf war immer noch leer. Es war, als hätte mein Hirn die Gesamtleistung runtergefahren, um den Reaktor vor einer Kernschmelze zu schützen. Aber es gab auch gute Nachrichten. November lebte. Als Nele losgezogen war, um die Villa anzustecken, hatte sie ihn im Zimmer eingesperrt. Ein Hoffnungszeichen. Immerhin bedeutete das, dass sie sogar, wenn sie durchdrehte, noch wusste, dass November ein Freund war. Anders als bei mir.
    Vor meinen Augen ratterten die Jahre vorbei und beleuchteten jede Erinnerung aus einer neuen Perspektive. Ich sah die Bilder, wie Nele am Grab ihrer Mutter stand. Das Begräbnis war das größte Medienereignis, das das Dorf je erlebt hatte. Dutzende Fernsehteams, bekannte Schauspieler und Fernsehstars waren vor unserem kleinen Friedhof vorgefahren, um einer Frau die letzte Ehre zu erweisen, die das Glück hatte, mit einem großartigen Künstler und liebevollen Familienvater verheiratet zu sein, wie der Pastor salbungsvoll betonte. Sogar der Kultusminister schrieb einen Brief. Es gab Artikel und Reportagen in den Boulevardblättern, im Fernsehen, und alle hatten sie dieselbe Aussage: der arme Witwer und das tapfere Kind. Ich erinnerte mich, wie er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Beerdigung stehende Ovationen erhielt, als er mit Nele an der Hand bei einer Preisverleihung die Bühne betrat. Mor und ich hatten dieses Ereignis damals live im Fernsehen verfolgt. Wenn ich daran dachte, bekam ich Kopfschmerzen.
    Die Zimmertür öffnete sich einen Spalt. Mor steckte den Kopf herein. Sie sah mich an und zog den Kopf wieder raus. Ich stand auf. An der Tür drehte ich mich noch mal um. Ich ertappte mich dabei, das Zimmer nach scharfen Gegenständen abzusuchen. Die Sache war aus dem Ruder gelaufen.
    Der lange Flur war fast leer. Mor ließ sich mühsam auf einen der harten Plastikstühle sinken. Neben ihrem Bein stand eine volle Plastiktüte auf dem Fußboden. Sie fasste die Prothese mit

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