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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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Schultern.
    »Tut mir wirklich leid. Ich dachte, Hans wollte sie schützen. Deswegen hatte ich ihm versprochen, es für mich zu behalten.«
    »Ja, klar sollten Sie das für sich behalten, und raten Sie mal, wieso! Der Arsch wollte nicht, dass Nele mit jemandem redet, weil sonst herausgekommen wäre, dass er ein verfluchter Mörder ist. Er wollte sich bloß selbst schützen! Hat ja auch prima geklappt. Alle halten die Fresse, und er kann unbehelligt weiterleben, meine Güte!«
    Nissen nahm seine Brille ab, kniff die Augen zusammen und rieb sich die Nasenwurzel.
    »Gibt es keinen Zweifel daran, dass er Charlotte getötet hat? Es fällt mir schwer zu glauben, dass er zu so etwas fähig gewesen sein soll.«
    Ich starrte ihn wütend an.
    »Wenn Sie hergekommen sind, um über dieses Arschloch zu reden, gehen Sie wieder!«
    Er schaute mir ein paar Sekunden regungslos in die Augen. Dann setzte er die Brille wieder auf und nickte.
    »Entschuldige. Also, wie geht es ihr?«
    Ich sagte ihm, was ich wusste. Während er zuhörte, ließ er seinen Blick wie einen Scanner über mich laufen. Als ich verstummte, nickte er mir zu.
    »Hast du eine Ahnung, warum sie die Villa angesteckt hat?«
    »Da ist es passiert. Der Tatort.«
    »Ja, aber wieso gestern Abend? Was war der Auslöser?«
    »Weiß ich nicht, aber bevor ich das Haus verließ, haben wir …«
    Ich fragte mich, wie ich ihm erklären konnte, was passiert war. Ein kurzes Gespräch, Sex, ein Abend mit dem Fotoalbum ihrer Kindheit. Es klang unspektakulär, aber ich wusste, dass der Moment, in dem Neles Hand regungslos auf meinem Haar liegen geblieben war, der Augenblick gewesen war, in dem sie sich an irgendwas erinnert hatte. Wäre ich geblieben, wäre sie nicht losgegangen. Oder vielleicht doch. Aber es wäre vielleicht nicht so schlimm geworden. Oder noch schlimmer. Scheiße.
    Ich lehnte mich zurück. Die Mücke hing immer noch an der gegenüberliegenden Wand. Sie war definitiv tot. Endlich etwas, das ich mit Sicherheit wusste.
    »Gut«, sagte Nissen. »Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Ich hoffe, dir ist jetzt klar, dass sie Hilfe braucht.« »Klar, ab in die Klapse.«
    Er schüttelte genervt den Kopf.
    »Vergiss mal kurz deine Vorurteile. Die Klinik, die ichmeine, ist spezialisiert auf Traumatherapie. Die können ihr helfen.«
    »Vielleicht wird es jetzt auch so besser«, sagte ich. »Vielleicht war das Feuer die Handlung, die bislang noch gefehlt hat. Vielleicht hat sie die Sache gestern Nacht zu Ende geführt.«
    Seine hellen Augen ruhten wieder auf mir.
    »So etwas wie eine Katharsis, die über Nacht aus einem wehrlosen Kind eine wehrhafte Erwachsene macht? So etwas gibt es nicht. Das muss man sich Schritt für Schritt erarbeiten. Nele braucht professionelle Hilfe.«
    »Sie braucht aber auch Liebe und ein sicheres Umfeld.«
    »Ach, und weil es bei dir so verdammt sicher ist, hat sie letzte Nacht ihr Elternhaus angezündet und wäre dabei fast gestorben …« Er funkelte mich plötzlich zornig an. »Ich weiß, was du willst, aber du bist nicht dafür qualifiziert. Liebe ersetzt kein Fachwissen. Sie hat mehrere Menschen angegriffen und ein Haus angezündet. Was denkst du eigentlich, was passiert, wenn sie vor Gericht landet? Jeder Richter würde sie einsperren.«
    »Und deswegen soll ich sie vorher selber abliefern oder was?«
    Ein Stück den Flur hinunter steckte ein Patient den Kopf aus seinem Zimmer und sah sich nach dem Grund für den Krach um. Als ich ihn ansah, verschwand er wieder in sein Zimmer. Ich sog Luft durch die Nase, füllte meine Lungen und ließ die Luft langsam wieder durch den Mund hinausströmen. Nissen beugte sich vor und bohrte seinen Blick in meinen.
    »Paul. Diese Aussetzer sind Hilferufe.« Er streckte eine Hand aus und zeigte auf die Zimmertür. »Seit über zwanzig Jahren schleppt sie das Geheimnis alleine mit sich herum, und jede Minute, die sie da drin liegt, macht sie alles mit sich selbst ab. Alle ihre diesbezüglichen Glaubenssätze stammen noch aus ihrer Kindheit. Du glaubst, dass deineLiebe reicht, aber es gibt Orte in ihr, da warst du nie. Tief drin ist sie allein und fühlt sich schuldig, oder sie hat Angst, und wenn man ihr nicht jetzt hilft, wo alles auf bricht, kann es schlimmer werden. Sie kann sich was antun. Oder jemand anderem.«
    Ich sah an ihm vorbei und heftete meinen Blick erneut auf die gegenüberliegende Wand.
    »Gut.« Nissen griff die Armlehnen, stemmte sich auf die Beine und legte mir einen Umschlag auf den Schoß.

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