Nele Paul - Roman
übersehen, dafür hatte sie gehört, wie sich oben jemand bewegte. Nele wurde von dem Krach geweckt und war heruntergekommen, um nachzuschauen, was der Aufstand sollte und … Hundt ließ sich die Sache noch ein zweites und ein drittes Mal erklären. Er ließ sich ihren Ausweis zeigen, rief bei der Taxizentrale an, ließ sich Neles Aussage von dem Taxifahrer bestätigen, und dann musste Nele ihre Geschichte noch ein viertes Mal erzählen. Es dauerte, bevor er einsah, dass es hier nie eine Bande gegeben hatte. Er ließ noch Garten und Garage durchsuchen, doch schließlich konnte ich ihn und die Kollegen endlich auf den Hof hinausbugsieren, wo ich ihm ein weiteres Mal erklärte, dass Nele früher bei uns gewohnt hat und wir nicht wussten, dass sie zu Besuch kommt. Schließlich stieg er in seinen Wagen und rollte vom Hof. Schröder verfluchte mich, weil er seinen ganzen Pokergewinn auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Auch die restlichen Kollegen kommentierten die Lage gepflegtund gingen zu ihren Wagen. Ich brachte Rokko zum GT und versprach ihm, dass ich nie wieder über seinen Fahrstil meckern würde. Er machte eine Kopf bewegung zum Haus hin.
»Ich dachte, sie ist in Amerika …«
»Dachte ich auch.«
»Was will sie dann hier?«
»Weiß ich nicht.«
»Ich dachte, ihr habt keinen Kontakt.«
»Hatten wir auch nicht, bis eben.«
Er schaute zum Haus rüber und schüttelte den Kopf.
»Ich muss dich nicht daran erinnern, wie die Sache letztes Mal endete, oder?«
»Beziehungstipps? Von dir? Hast du wirklich die Neue nach ihrer Nummer gefragt, während Anita dabei war? Alter, verlierst du allmählich den Verstand?«
Er stieg wortlos in den Wagen und ließ den Kies fliegen, als er vom Hof rauschte. Während ich dem Wagen nachsah, hatte ich ein Déjà-vu. In den Monaten bevor Nele damals abgereist war, hatte Rokko dauerhaft schlechte Laune. Erst später wurde mir klar, dass er die ganze Zeit befürchtet hatte, dass ich mitgehe. Vielleicht stand uns jetzt dasselbe bevor. Es konnte aber auch an Anita liegen. Immer, wenn sie sauer auf ihn war, wurde er sauer auf alle.
Die Motorengeräusche wurden leiser. Die Nachtstille kehrte zurück. Es wehte kein Lüftchen, der Sternenhimmel war wie gemalt. Grillen zirpten, draußen auf den Feldern meldete sich eine Eule zu Wort. Irgendwann sah ich ein, dass Rumstehen die Sache nur hinauszögern würde.
Als ich hereinkam, hob Nele den Kopf und strahlte mich an. Ihr braunes Haar lag wie ein Helm um ihr Gesicht und ließ es kleiner erscheinen, als ich es in Erinnerung hatte. Der einst wilde Lockenschopf war einer Kurzhaarfrisur gewichen.
Ich ging um den Küchentisch herum, und dann stand sie vor mir. Und zum ersten Mal seit neun Jahren umarmte ich das Mädchen, mit dem ich aufgewachsen war. Das Nachbarmädchen, das fünfzehn Jahre lang meine beste Freundin und meine erste Frau gewesen war. Sie war wieder da. Nele war wieder da. Ich spürte, wie sie an meinem Hals lächelte. Als wir uns voneinander lösten, glänzten ihre Augen.
»Ich hab euch vermisst.«
»Ach, deswegen haben wir seit Jahren nichts mehr von dir gehört?«
Mor gab mir einen Klaps auf den Hintern.
»Jetzt lass sie doch erst mal ankommen. Du kannst sie morgen beschimpfen, heute wird gefeiert. Setzt euch, setzt euch.«
Sie hüpfte zum Kühlschrank und holte eine Flasche Champagner hervor, die sie für besondere Augenblicke aufgehoben hatte. Ich holte drei Gläser aus dem Schrank und stellte sie auf den Küchentisch. Nele setzte sich und sah uns zerknirscht an.
»Ich möchte mich bei euch entschuldigen.«
»Wahnsinn«, sagte ich und ließ mich gegen die Rückenlehne sinken.
Mor warf mir einen strafenden Blick zu.
»Nun, lass sie es doch wenigstens versuchen.«
Nele hob die Schultern.
»Ich weiß nicht, wie ich euch erklären kann, was in den letzten Jahren los war. Es war wie ein Traum. Alles ging so schnell, tausend neue Dinge, New York, die Sprache, die Reisen, die Jobs, das ganze Drumherum … Ihr ahnt nicht, wie oft ich an euch gedacht habe, aber … irgendwann konnte ich nicht mehr anrufen. Es hat mich zu traurig gemacht.«
»Ach so«, sagte ich.
Diesmal bekam ich einen Klaps in den Nacken. Mor stellte die Flasche vor mich und setzte sich zu uns an den Tisch.»So, Engelchen, Entschuldigung angenommen, jetzt her mit den Geschichten, wir wollen alles wissen. Wie ist denn George Clooney so?«
»Ja, wie war denn Georgie?«, sagte ich und schnappte mir die Flasche.
Nele warf mir einen Blick zu.
»Seit
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