Nele Paul - Roman
mich unter die Decke und streckte sich neben mir auf der Matratze aus. Ihr Geruch überrollte mich wie eine Welle.
Die Hunde bellten noch ein paarmal, ohne dass sich jemand bewegte. Herrje, wenn sie mich jetzt berührte, würde ich mich einfach in eine Wolke Quarks auflösen, und das wäre völlig in Ordnung. Wirklich völlig in Ordnung.
»Schau nicht so«, flüsterte sie. »Manchmal braucht man eine neue Frisur.«
»Ach so. Und die ganze Zeit denk ich, wann nimmst du den Helm ab.«
Sie gab mir einen Klaps auf den Arm. Ich räusperte mich. »Wie geht es dir denn so?«
»Ganz gut.«
»Klingt ja furchtbar.«
Sie stieß Luft zwischen ihren Zähnen aus, und ich meinte, ein leichtes Zittern an ihr zu spüren, aber ich musste mich täuschen. Im Zimmer waren es noch an die fünfundzwanzig Grad, obwohl das Fenster offen stand. Vielleicht war ich es, der zitterte. Lange würde mein Herz das nicht mehr mitmachen.
Das Zittern kam wieder. Ich war es nicht. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie rutschte an mich heran, klammerte sich an mich und versteckte ihr Gesicht an meinem Hals. Ich drückte sie an mich und streichelte ihren Nacken. Das Zittern nahm zu. Ich wusste nicht, warum sie weinte, ich wusste nicht, warum sie wieder hier war, alles, was ich wusste, war: Sie war hier. Nele war wieder da. Es war nicht zu fassen.
Hinter dem offenen Fenster hing der Nachthimmel voller Sterne, und ich ahnte, dass dies einer dieser Augenblicke war, von denen man später sagen würde, sie hätten das Leben verändert.
neun
Durch das Fenster sah man einen diesigen Himmel, aber dahinter war der Horizont tief blau. Die Wolken hatten sich über Nacht verzogen, wie ein Verheirateter nach einem One-Night-Stand. Neben mir schlief Nele mit geöffnetem Mund. Ihr Gesicht sah still und friedlich aus. Vor ein paar Stunden hatte sie einen Albtraum gehabt. Seitdem ruhte ihr Kopf auf meinem Arm, der ebenso tief schlief. Vor Jahren ein ganz normaler Morgen, doch das Morgenlicht verriet, dass die alten Zeiten vorbei waren. Ich sah Falten, wo früher keine gewesen waren. Unter ihren Augen zeichneten sich Ränder ab, und neben ihren Mundwinkeln befanden sich kleine Furchen. Neben den alten Narben vom Klettern, den Kämpfen und Fahrradstürzen sah ich eine kleine gezackte Narbe am Hals, die ich nicht kannte.
Das AC/DC-Shirt war hochgerutscht und entblößte unter den Tourterminen einen kleinen Bauch. Ihre Schenkel schienen ebenfalls zugelegt zu haben. Früher hatte ihr Körper schlaksig gewirkt, jetzt wirkte er fülliger und satter, als hätte man ihm einen Teil seiner nervösen Energie genommen. Ihr Temperament hatte uns früher ständig auf Trab gehalten, immer musste etwas passieren, besser Blödsinn machen, als gar nichts erleben. Als sie fort war, hatte mir ihre Energie gefehlt wie einem Junkie der Stoff. Ein Jahr lang hatte ich nicht gewusst, wie ich das Vakuum füllen sollte. Bis ich das Laufen entdeckte. Das Laufenbrachte mir die Balance zurück. Ich hatte mich gefangen, doch ich hatte mich nie wieder so gut gefühlt wie mit ihr. Und jetzt lag sie neben mir …
Ihre Augenlider flatterten. Sie schlug die Augen auf und kniff sie gegen das Morgenlicht zusammen. Einen Augenblick schien sie nicht zu wissen, wo sie war. Auf ihrem Gesicht lag eine tiefe Müdigkeit. Dann kehrte sie in ihren Blick heim und lächelte. Ein Hauch ihres morgendlichen Atems drang mir in die Nase.
»O Mann«, sagte sie und schaute mir in die Augen. »Ich bin wirklich hier.«
Meine Mundwinkel strebten auseinander.
»Komisch, hab ich eben auch gedacht.«
»Danke, dass ich bei dir schlafen konnte. Das tat gut.«
Ich streckte ihr meine Hand entgegen. Als sich ihre Finger auf die alte Art zwischen meine schoben, sog ich Luft in die Lunge und schaute an die Decke. Mein Herz fühlte sich doppelt so groß an. Niemand sagte etwas.
Schließlich räusperte ich mich.
»Schön, dich wiederzusehen.«
»Dito.«
Ihre Augen waren groß und dunkel. Man konnte in ihrem Blick herumschweben wie im All. Überall gab es was zu entdecken … neue Sterne … fremde Welten … intelligentes Leben …
Ich hätte für immer so liegen bleiben können und ihre Hand halten, doch so surreal die Vorstellung sein mochte: Es gab da draußen ein Leben, und in dem musste ich zur Arbeit. Second Life.
Ich ließ ihre Hand los, rollte mich aus dem Bett und griff nach meiner Unterhose. Sie schaute mich überrascht an. »Was machst du?«
»Frühschicht.«
»Jetzt?« Sie stöhnte. »Ich komme
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