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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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Ich meinte, ein kleines Lächeln zu sehen.
    »Was sagt man denn dazu?«
    »Sie sieht müde aus.«
    Mor nickte und tippte mit einem Fingernagel vor mir auf die Tischplatte.
    »Willst du einen Rat, Schatz?«
    »Sicher.«
    »Gib ihr ein bisschen Zeit anzukommen. Du weißt ja, warum Frauen sich die Haare abschneiden.«
    »Wegen der Frisur?«
    Sie sah mich milde an, und, klar, ich wusste Bescheid. Frisurwechsel = Trennungszeichen. So was lernt man, wenn man Frauenmagazine liest, da wird man zum Fachmann. Was ich jetzt brauchte, war ein Tipp zu Wiedersehenszeichen. Früher bedeutete ein »Gute Nacht« mit einem solchen Blick: Lass mich nicht zu lange warten. Was bedeutete es nach neun Jahren? Konnte irgendetwas nach neun Jahren noch dasselbe bedeuten?
    Ich trank einen weiteren Schluck, ohne etwas zu schmecken. Ich sah mein Glas an.
    »Verdammt, was ist das hier? Das schmeckt nicht.«
    Mor tätschelte meine Hand. Wir hörten die Dusche oben angehen, und ich reiste durch ein Wurmloch in alte Bilder. Tausende Male hatte ich in der Küche gesessen und oben die Dusche angehen hören. Ich hatte mit Mor geredet und gewusst, dass ich gleich da hochgehen würde, um möglichst leise mit Nele zu schlafen. Das Geräusch des Wassers, das durch die alten Leitungen in der Wand lief, war wie auditives Viagra.
    Wir plauderten ein bisschen über Mors Geburtstag nächste Woche und versuchten, den Schock zu verarbeiten. Nele. Im Haus. Da oben. Plötzlich wurde ich müde. Ich gähnte, küsste Mor und zog mich zurück. Meine Füße wogenTonnen, als ich die Treppenstufen hochging, und ausgerechnet vor dem Gästezimmer ging mir die Luft aus. Ich blieb stehen, um zu verschnaufen. Vor der Tür standen ein paar Kartons, die sie aus dem Zimmer geräumt hatte, um Platz zu haben. Unter der Tür sah man kein Licht. Ich lauschte. Außer meinem Puls, der wild um sich schlug, war nichts zu hören. Ich lauschte noch einen Augenblick. Eine Etage unter mir hüpfte Mor herum. Eine Tür neben mir schlief meine große Liebe. Oder auch nicht.
    Ich lauschte angestrengt. Vielleicht war sie umgefallen. Herrje, vielleicht lag sie da drin und röchelte leise um Hilfe? Vielleicht war ich der Einzige, der ihr Leben retten konnte? Vielleicht sollte ich auch einfach wieder runterkommen.
    Ich ging ins Badezimmer. Ich duschte, wickelte mich in ein Handtuch und lauschte noch mal an der Gästezimmertür. Nichts. Vielleicht stand sie auf der anderen Türseite und hielt ebenfalls lauschend die Luft an. Vielleicht lag sie aber auch schon im Bett und träumte von Georgie. Ich atmete durch und ging in mein Zimmer.
    Und da war sie.
    Sie saß im Dunkeln auf dem Fenstersims, hatte die Beine angezogen und schaute aus dem offenen Fenster. Das war früher ihr Lieblingsplatz gewesen. Sie hatte oft dort gesessen, über die Felder geschaut und ihren Gedanken nachgehangen.
    Sie drehte mir ihr Gesicht zu.
    »Hey …«
    Es war zu dunkel, um ihren Gesichtsausdruck zu erkennen, aber schon ihre Stimme ließ mich schwanken. Ich lehnte mich von innen gegen die Tür. Mein Mund fühlte sich seltsam trocken an. Ich befeuchtete meine Lippen. Mein Magen sackte ein paar Etagen ab. Da saß sie. Es war lächerlich, dass es mich so verunsicherte, aber ich konnte mich kein bisschen bewegen.
    »Ich hab so schöne Plätze gesehen, aber nirgends fand ich meine Fensterbank. Ich kann dir nicht sagen, wie oft …«
    Ihre Stimme versandete. Ihre Brust hob und senkte sich. Ohne die wilden Locken wirkte die Silhouette ihres Kopfes schmaler und zerbrechlicher. Sie hatte sich tatsächlich ihr schönes Haar abgeschnitten. All ihre üppigen Locken, ihre Mähne, die ihr bis tief auf den Rücken reichte und sich über ihr Kopfkissen ergossen hatte, wenn sie im Bett lag, ihr Haar, das sie manchmal eine Stunde gebürstet hatte, es war nicht mehr da.
    Mir wurde komisch. Ich begann wieder zu atmen, ging zum Bett, ließ das Handtuch fallen und rutschte unter die Bettdecke.
    »Soll ich wieder gehen?«
    »Wieso?«
    »Na, weil …« Sie machte eine Handbewegung. »Du gehst einfach ins Bett und sagst nichts.«
    »Ich kann dir meine Freude nicht so richtig zeigen, weil ich gerade einen Herzinfarkt habe.«
    Draußen auf dem Feld bellte ein Hund. Ein anderer antwortete. Ich wollte was sagen. Mir fiel nichts ein. Ich hob die Bettdecke. Sie trat einen Schritt näher. Noch einen. Mit jedem Schritt verwandelte das Mondlicht den Schatten in Nele, nur ihr Gesicht blieb unsichtbar. Keine Ahnung, was sich dort abspielte. Sie rutschte neben

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