Nele Paul - Roman
nach hundert Jahren nach Hause, und wir frühstücken nicht zusammen?«
»Kannst ja in die Küche kommen, dann mache ich dir einen Kaffee.«
Sie schnitt eine Grimasse.
»Was ist denn aus dem galanten jungen Herrn geworden, der alles ans Bett brachte?«
»Der Typ«, sagte ich und stieg zur Feier des Tages in eine lange Jeans. »Der ist jetzt emanzipiert. Der liest Frauenmagazine. Der weiß Bescheid.«
Das entlockte ihr ein Lächeln. Sie schaute zu, wie ich mich anzog. Ihre Augen glitten über meinen Körper.
»Du bist gut in Form.«
»Ich laufe.«
Sie kräuselte ihre Stirn.
»Du und Sport … Was kommt als Nächstes?«
»Kaffee. In fünf Minuten in der Küche.«
Ich schlüpfte in ein paar Mokassins, verließ das Zimmer und ging runter in die Küche, wo November auf seiner Decke lag. Das Haus war still. Mor schien noch zu schlafen. Ich füllte die große Espressokanne, stellte sie auf die Herdplatte, warf November einen Hundekeks hin und holte zwei Tassen aus dem Schrank. In die eine kamen drei Löffel Zucker und ein Löffel Kakao. In die andere zwei Löffel Kakao und viel Milch. Manche Dinge vergaß man nie.
»Nie«, sagte ich.
November hob den Kopf und sah mich an.
»Nein, nein, ich meinte nicht dich, ich …«
Ich stellte die Tassen auf den Tisch und legte mich auf den Küchenboden. Die Milchflasche auf dem Bauch, grinste ich die Decke an. November kam rüber, um mir ins Gesicht zu starren. Er wirkte besorgt.
»Alles in Ordnung«, erklärte ich ihm. »Sie bleibt ein paar Tage.«
Er trottete zurück und ließ sich auf seine Decke fallen, behielt mich aber im Auge. Ich stand auf, schaltete das Radio ein und begann, den Tisch zu decken. An denSchwingungen des Bodens spürte ich, dass Mor wach und auf dem Bein war. Bei jedem Sprung, den sie zwischen Bett und ihrem Badezimmer zurücklegte, zitterte die Milch wie die Pfützen in Jurassic Park .
Im Haus klappten Türen, und fünf Minuten später saßen wir zu dritt am Küchentisch, als sei es das Normalste der Welt. Mor schmierte sich ein selbst gebackenes Kürbiskernbrot. Nele hatte die Füße auf den Stuhl gezogen und ihr Kinn auf ihre Knie gelegt. Sie hielt ihre Tasse in beiden Händen und schlürfte vom Rand. Ich tat, als würde ich die Süddeutsche lesen. Das Radio plauderte. November behielt das Brot im Auge, obwohl er es nicht mochte. Jeder hing seinen Gedanken nach. Von Zeit zu Zeit ertappten wir uns dabei zu gucken, dann sahen wir wieder weg.
Ich trank meinen zweiten Kaffee, als November die Ohren spitzte. Wenig später fuhr der GT blubbernd in unsere Einfahrt. Ich leerte meine Tasse und stand auf.
»Also, bis später.«
Wir schauten uns an und mussten alle lächeln. Ich kam nicht umhin, beide zu umarmen, als ich mich verabschiedete.
»Bis nachher«, sagte Nele.
Nachher.
Ich ging schnell raus und auf den Wagen zu, aus dem die Red Hot Chili Peppers dröhnten. Als ich auf den Beifahrersitz rutschte, war mir danach, Rokko zu umarmen. Ich konnte mich gerade noch beherrschen.
»Morgen.«
Rokko musterte mich durch seine verspiegelte Sonnenbrille.
»Deinem dämlichen Grinsen entnehme ich, dass sie noch da ist.«
»Hättest zur Kripo gehen sollen.«
Er trat aufs Gas. Wir schossen vom Hof. Wir erwischten einen Bremser. Vor uns tuckerte ein Traktor mit einemAnhänger voller Zuckerrüben und zwanzig Stundenkilometern her. Während Rokko nach einer Lücke im Gegenverkehr suchte, ging das Verhör weiter.
»Und was will sie hier?«
»Weiß ich nicht.«
»Bleibt sie lange?«
»Grundgütiger, versöhn dich bloß bald wieder mit Anita.« »Leck mich.«
Er schaltete runter und zog an dem Traktor vorbei. Wir schafften es kurz vor dem entgegenkommenden Schulbus wieder in unsere Spur. Der Schulbus hupte wild. Willi, der Busfahrer, war für sein sonniges Gemüt bekannt, doch jetzt klebte er Grimassen schneidend an der Scheibe und fuchtelte sich vor dem Gesicht herum. Rokko zeigte ihm den Finger und warf mir einen Blick zu. »Und, habt ihr schon gebumst?«
Ich zog eine Grimasse.
»Sag mal, ist deine Mutter aus Marokko?«
»Was?«, sagte er genervt.
»Ma – Rokko.«
Ich wackelte mit den Augenbrauen. Er sah nach vorne und drehte die Musik auf.
Auf dem Revier herrschte dicke Luft. Ich hatte mich auf allerhand dumme Sprüche eingestellt, aber dafür hatte niemand Zeit. Hundt hatte alle Fahrzeuge von der Straße geholt, die Nachtschicht dabehalten, die Spätschicht einberufen und eine Einsatzbesprechung anberaumt. Die Einsatzzentrale summte wie ein
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