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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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in den Flammen herum.
    Es wurde dunkel. Die Sonne war untergegangen, aber die Luft blieb warm. Wir saßen am Feuer und schwiegen. Es war ein gutes, ruhiges Schweigen, einer dieser wortlosen Momente, die man nicht mit jedem hinbekam. Nele ließ die Funken fliegen, aber man merkte, dass sie mit den Gedanken nicht bei der Sache war.
    »Hast du in den letzten Jahren viel von Papa mitbekommen?«
    »Einmal die Woche aß er abends mit uns. Manchmal blieb er und schaute einen Film mit Mor an. Einmal die Woche spielte er Skat im Schaukelstuhl, manchmal spielte ich mit.«
    Nele zog den Stock aus dem Feuer, der sich entzündet hatte. Sie steckte ihn in den Sand, löschte die Glut und hielt ihn wieder in die Flammen.
    »Paul, ich sag’s dir besser gleich … Nicht böse werden, ja?« Sie sah mich nicht an. Ich spannte meine Muskeln an und wappnete mich gegen das, was unweigerlich kommen musste. Ein Freund. Ein Ehemann. Der Grund, wieso sie sich so lange nicht gemeldet hatte.
    »Ich bin schon seit einem halben Jahr wieder hier.«
    Ich sah sie verständnislos an.
    »Wo?«
    »In Deutschland. Genauer gesagt, in Köln.«
    Ich hob die Augenbrauen.
    »Du meinst, in dem Keine-Stunde-von-hier-entfernt-Köln?«
    Sie zog die Schultern hoch und starrte ins Feuer.
    »Als Papa vor zehn Monaten ins Heim kam, bat er mich, ihn zu besuchen. Ich blieb eine Woche bei ihm und flog dann zurück. Als er den zweiten Schlag bekam, meinte er, dass er nicht mehr lange zu leben hätte, und bat mich, bei ihm zu bleiben. Das war vor einem halben Jahr. Seitdem bin ich da.«
    »Wieso, zum Henker, hast du dich nicht gemeldet?«
    »Ich hatte viel zu tun«, murmelte sie und wich meinem
    Blick aus. »Wusstest du, dass er sein Vermögen an der Börse
    verloren hat?«
    Ich sah sie perplex an.
    »Hans?«
    »Ja.«
    »Nein.«
    Sie nickte.
    »Er war pleite, ich musste ihn finanziell unterstützen, und
    weißt du, was vernünftige Pflege im Monat kostet? Ich
    habe jeden Job angenommen, den ich kriegen konnte.« Sie
    wischte sich übers Gesicht.
    Ich versuchte, das zu verdauen. »Er hat an der Börse gezockt?«
    »Aus Langeweile. Eine Zeit lang hat er gut verdient, also hat
    er ein bisschen mehr riskiert, und plötzlich war fast seine
    ganze Altersvorsorge weg. Er konnte mir nicht mal genau
    erklären, was passiert war. Sogar die Villa ist verschuldet.
    Wenn ich es nicht schaffe, sie bis zum Jahresende zu verkaufen,
    nimmt die Bank sie mir weg und versteigert sie für ’n Appel und ’n Ei.«
    »Sind ja tolle Nachrichten.«
    »Ja, nicht? Dick, gescheitert und verschuldet.«
    Es knackte in den Büschen. Ich lauschte in die Nacht. Man
    musste immer damit rechnen, dass das Feuer Spanner
    anlockte. Es knackte noch mal. Diesmal weiter entfernt.
    Vielleicht lief noch irgendwo ein Jogger herum. Vielleicht
    lauerte Schröder im Gebüsch. Ich horchte kurz zur Klippe
    hoch, aber von November war nichts zu hören. Nele schaute
    regungslos ins Feuer. Die Flammen tanzten wieder auf
    ihrem Oberkörper und Gesicht.
    »Dann verstehe ich erst recht nicht, wieso du dich nicht gemeldet
    hast. Ich hätte dir was leihen können.«
    Sie sah mich an. Ihre Augen waren dunkel und groß.
    »Ich hatte Angst«, sagte sie nach einer Weile.
    »Wovor denn?«
    »Dass ich nach Hause komme und nichts mehr ist, so wie es war, und dass du mich vielleicht nicht mehr magst.«
    »Wieso denn das?«
    Sie biss sich auf die Unterlippe.
    »Gar nicht sauer, dass ich damals gegangen bin?«
    Ich lachte.
    »Drehst du durch oder was? Auf dich war ich nur ein Jahr sauer. Ab da hab ich mich jahrelang gefragt, ob ich Mor nur als Ausrede benutzt habe, weil ich zu feige war, um mitzugehen. Gott, seitdem ich dich kenne, wolltest du hier weg, und das war deine Chance rauszukommen. Nein, ich war nicht sauer, im Gegenteil, ich hab mich für dich gefreut.«
    »Das klang damals aber anders.«
    »Damals war ich bloß sauer auf dich, weil du andere Pläne hattest, aber wir sind doch immer Freunde geblieben.«
    Sie sah mich forschend an.
    »Ja?«
    »Klar. Gott, wir sind zusammen aufgewachsen. He, ich hab dich entjungfert!«
    »Und ich dich.«
    Ihre Augen funkelten. Ich war mir sicher, es lag nicht nur am Feuer. Wir musterten uns einen Moment schweigend, dann senkte sie den Blick und rührte automatisch wieder in der Glut.
    »Du hast es damals richtig gemacht. Wärst du mitgekommen, wärst du verrückt geworden.«
    »Vielleicht nicht.«
    »O doch«, sagte sie.
    Oben auf der Klippe winselte November prüfend. Ich rief seinen Namen.

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