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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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Das Winseln verstummte. Nele verzog ihr Gesicht leicht und kratzte sich am Kinn.
    »Ich muss dir noch was beichten …«
    »Nein.«
    Sie hob ihre Augenbrauen.
    »Nein?«
    »Nein. Ich freue mich, wenn du mir alles erzählst, aber müssen musst du gar nichts. Du bist wieder zu Hause, hier kannst du tun und lassen, was du willst.«
    Sie atmete durch.
    »Das habe ich vermisst«, sagte sie rau. »Nichts zu müssen. Da draußen…«, sie machte eine Handbewegung, die alles außerhalb der Grillstelle einschloss, »da muss man immer irgendwas.«
    »So ist das auf dem Land. Hier hat man seine Ruhe. Niemand stresst, keiner geht einem auf die Nerven.« Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen. »Außer natürlich du verschweigst mir fünf Kinder, die irgendwo nach Mami schreien, während ihr Vater, ein siebzigjähriger versoffener Hollywoodstar, sich mit der Babysitterin vergnügt…«
    Sie legte ihren Kopf schief.
    »Das interessiert dich?«
    »War das ein Nein?«
    Sie musterte mich ausdruckslos.
    »Es gibt da eine Sache, die du wirklich wissen solltest …« Diesmal war sie es, die Zeit verstreichen ließ, dann riss sie die Augen auf. »Wer als Letztes im Wasser ist, ist ’ne Lusche!«
    Sie sprang auf die Beine, riss sich den Slip runter und rannte zum See. Ich entledigte mich meiner Unterhose und nahm die Verfolgung auf. Sie lief jauchzend ins Wasser. Ich sprang ihr nach.
    Sekunden später schwammen wir durchs Weltall. Der Himmel hatte eine Sternendecke aufgezogen, die sich in der Wasseroberfläche spiegelte. Man konnte in null Komma nichts auf den Mond schwimmen oder die Milchstraße nass machen. Wir planschten von Stern zu Stern. Ein schöner Augenblick. Wenn es nicht die unerforschten Abgründe unter uns gegeben hätte. Nacktschwimmen war noch nie meine Stärke gewesen. Ich musste ständig darandenken, dass ein Teil von mir wie ein Köderhappen aussah.
    Nele tauchte ab und kam vor mir wieder hoch, um mir einen Mund voll Wasser entgegenzuspucken. Ich verpasste ihr eine Ladung retour. Sie lachte, drehte sich auf den Rücken und ließ sich treiben.
    »Kein Wunder, dass so viele das machen«, sagte sie und wackelte mit ihren Zehen, die aus dem Wasser schauten.
    »Spucken, ’ne tolle Sache«, sagte ich und wischte mir Wasser aus den Augen.
    »Ich meine, wieder nach Hause kommen. Ich hätte nicht gedacht, dass sich das nach all der Zeit so vertraut anfühlen würde. Unglaublich …« Sie drehte sich in Bauchlage. »Aber Paul, nur damit wir nicht wieder damit anfangen – ich kann nicht bleiben.«
    Es versetzte mir einen Schlag. Da waren wir wieder. Das gute alte Scheißthema.
    »Wieso denn nicht?«
    »Hier gibt es keine Jobs.«
    Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, aber mein Gott …
    »Mir ist kalt.«
    Ich kehrte um und schwamm auf das Lagerfeuer zu, dessen Glut uns den Weg wies. Wir wateten an Land. Ich hockte mich ans Feuer. Sie hockte sich neben mich.
    »Wir haben Zeit.«
    Klar doch. Bis sie das verdammte Haus verkauft hatte. Ich senkte den Blick. Wassertropfen liefen ihre Wade hinunter und bildeten einen dunklen Fleck im Sand.
    »Willst du wieder nach Amerika?«
    Nele schüttelte den Kopf. »Wenn ich eins rausgefunden habe, dann, dass ich Europäerin bin.« Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß noch nicht, wo ich leben will, aber es wird eine Stadt am Meer. Vielleicht Barcelona. Ich würde gerne mit Fremdsprachen arbeiten. Englisch, Deutsch und Spanisch kann ich schon. Wenn ich noch Französisch undPortugiesisch lerne, kann ich als Dolmetscherin oder Fremdsprachenkorrespondentin arbeiten.« Sie stupste mich an. »Diesmal bleiben wir in Kontakt, ja?«
    Kontakt.
    Eine Kindheit lang hatten wir uns täglich gesehen, eine Jugend lang, dann neun Jahre nicht, und jetzt saßen wir uns nackt gegenüber, als sei es das Normalste der Welt. Vielleicht war es das. Wir waren immer Freunde gewesen, noch vor der Liebe und der Sexualität hatten wir fast jeden Tag zusammen verbracht. Wir waren Freunde, wenn wir uns stritten, und auch, wenn wir uns manchmal eine Zeit lang aus dem Weg gegangen waren. Freunde.
    Wir blieben am Feuer sitzen, bis wir trocken waren, dann trockneten wir uns die Haare mit meinem Shirt und zogen uns schweigend an. Wir löschten das Feuer sorgfältig und packten das Feuerzeug wieder ins Ei. Wir vergruben es an der alten Stelle, dann machten wir uns in klammen Kleidern auf den Rückweg zur Klippe, auf der uns November mit Kragehops der besonderen Art begrüßte. Er schmollte keine Sekunde, weil wir ihn so

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