Nele Paul - Roman
Gefühl in meiner Brust ließ mich eine Fratze ziehen. Seit Jahren hatte ich mich nicht mehr so lebendig gefühlt. Ich fuhr mit meiner Hand über ihre Wange und senkte meine Lippen auf ihre. Wir stießen mit den Zähnen aneinander.
Wir küssten uns.
Neles Zunge begrüßte meine wie einen alten Freund, glitt über meine Zähne und mein Zahnfleisch. Sie saugte anmeiner Zunge, leckte über meine Lippen und biss leicht hinein. Sie küsste wie immer.
Als wir uns voneinander lösten, atmeten wir schwer. Ich hätte einiges dafür gegeben, jetzt ihre Augen zu sehen.
»Ist das schlau?«, flüsterte sie.
»Weiß nicht«, flüsterte ich.
»Ich gehe bald wieder.«
Statt zu antworten, senkte ich meine Lippen wieder auf ihre. Unsere Zungen schoben sich gegenseitig hin und her, wie ein Tanzpaar. Ein langsamer Engtanz. Als wir uns freigaben, hatten wir den Sauerstoff unter der Decke restlos verbraucht, und Neles Körper glühte durch das Handtuch. »Ich krieg keine Luft«, stöhnte sie.
Ich zog die Decke weg, und sofort fiel ein Geschwader Mücken über uns her. Die Viecher schossen wie blutsaugende Stukas auf uns hinab. Eine flog mir direkt ins Ohr.
»Gottverdammt!«
»Ahhh!«, machte Nele und schlug um sich.
Ich sprang aus dem Bett und sauste in die Küche, wo ich einen Stapel Zeitschriften gesehen hatte. Ich schnappte mir ein paar Ausgaben der Galore und lief ins Schlafzimmer zurück. Ich knipste das Licht an, warf Nele ein Heft zu und begann, die Flak zu organisieren. Schon bald klebten zahlreiche zerquetschte Sturzbomber an den Wänden. Ich erwischte den letzten in einer Ecke neben der Badezimmertür und verwandelte ihn in den Roten Baron. Im selben Moment hörte ich hinter mir ein Glucksen. Ich drehte mich um. Nele saß mit einer zusammengerollten Zeitschrift in den Händen auf dem Bett.
»Also das …«, gickelte sie. »Also das …« Sie prustete los.
Ich sah an mir hinunter. Ach so.
Ich knipste das Licht aus und ging zum Bett zurück.
»Dorfsex, schon vergessen?« Ich rutschte neben ihr aufs Bett. »Mücken töten, Spanner im Gebüsch, einer muss plötzlich kotzen …«
Ein bestechend klarer Mondstrahl fiel durch das Fenster und tauchte für einen kurzen Moment alles in sein Licht. Ich nahm ihr Gesicht zwischen meine Hände.
»Willkommen zu Hause«, flüsterte ich.
Wir küssten uns wieder, und plötzlich war alles so einfach. Wir entsorgten das Handtuch und erkundeten unsere Körper. Ihre Haut fühlte sich warm und glatt an. Ich streichelte ihre Hände, Arme, Schultern und ihren Rücken. Ich liebkoste ihren Hintern, ihren Bauch, ihre Brüste. Ich verwöhnte alles, was ich zwischen die Finger bekam – Ohren, Muttermale, Narben. Sie drängte sich an mich, und ihre Berührungen ließen mich zittern. Als sie ihre Hand über meinen Bauch wandern ließ, hielt sie kurz vor meinem Nabel inne. Sie sah mich im Mondlicht fragend an.
»Willst du?«
Ich lachte erleichtert. Mein Gott, sie war genauso unsicher wie ich.
»Ich will.«
In dieser Nacht hätte ich es nicht gemerkt, wenn ein Regiment durchs Zimmer marschiert wäre. Ich war im Neleland. Nele, die in dem einen Augenblick die alte war, um im nächsten Moment zu einer Fremden zu werden. Im einen Moment vertraut, tat sie im nächsten Augenblick Dinge, die ich nicht von ihr kannte. Ich musste sie nicht fragen, ob sie in den letzten Jahren mit anderen geschlafen hatte, ich fühlte es. Meine Nele hatte eine neue Nele mitgebracht, und mit beiden zu schlafen war das Aufregendste, das ich jemals erlebt hatte. Es hätte uns jemand überraschen können, und an Verhütung hatte ich genauso wenig Gedanken verschwendet. Wenn ich in diesem Augenblick ein Kind gezeugt haben sollte … Gott, allein der Gedanke machte mich schwindelig. Ein Kind. Dann würde sie vielleicht bleiben.
Ich öffnete die Augen. Das Zimmer war dunkel. Nele lag zusammengerollt in meinen Armen. Ich fragte mich, was mich geweckt hatte, bis Nele zuckte und etwas murmelte. Sie stöhnte und knirschte mit den Zähnen. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Drei Uhr. Ich streichelte ihre Schultern. »Süße, ist gut, du träumst nur.«
Sie öffnete die Augen und schaute sich orientierungslos um.
»Mama?«
»Nein, ich bin’s, Paul.«
Sie blinzelte mich benommen an.
»Geh nicht weg.«
Ich stemmte mich auf den Ellbogen und versuchte, ihre Augen in der Dunkelheit zu erkennen.
»Ich bin’s, Paul. Es ist alles gut.«
Sie sah mich einen Moment lang an, dann schloss sie die Augen, rollte sich auf die andere
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