Nele Paul - Roman
zum anderen sollte das Familienministerium mehr Geld für Kita-Plätze bewilligen, und drittens hatte Hundt letzte Nacht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine international agierende Drogenbande vor laufender Kamera ausgehoben, sprich: ein paar Kiffer mit Migrationshintergrund festgenommen. Mit den Malik-Brüdern, Mattes und Kurt, hatte er eine Razzia im Mykonos durchgezogen, einem bekannten Szeneladen. Er hatte ein paar Jugendliche einkassiert und den Club geschlossen. Das war alles andere als schlau. Man musste den Kids Freiräume lassen, wo sie unter sich sein konnten und wir sie im Blick hatten. Jetzt würden sie sich woanders treffen, und wir mussten erst rauskriegen, wo. Wir waren uns einig, dass Hundt langsam durchdrehte. Man hatte bei ihm das Gefühl, auf eine größere Katastrophe zuzusteuern.
Ich hörte weiter zu, wie Mattes den nächtlichen Sondereinsatz gepflegt kommentierte und dabei immer hübsch den Gang im Auge behielt. Als er Hundt jegliche Führungsqualität abgesprochen und uns ein Dutzend Mal ermahnt hatte, unseren Arbeitsplatz sauber zu halten, hatte er sich so weit abgeregt, dass er in der Lage war, nach Hause zu gehen, um seine Kinder in die Kita zu bringen. Bevor er das Büro verließ, warf Rokko die Verpackung eines Snacks in Richtung Papierkorb. Sie landete einen halben Meter daneben auf dem Boden. Mattes warf ihm einen düsteren Blick zu und verschwand.
Ich warf einen Blick auf mein Handydisplay, nichts. Vor einer Stunde hatte ich Nele eine SMS geschickt.
»Willst du was aus dem Kühlschrank? Nein? Schade, ich hätte dir gerne was mitgebracht, aber du kannst ja nicht sprechen.«
Ich ging in die Küche und rief zu Hause an. Mor ging erst beim sechsten Klingeln ran und atmete schwer.
»Was ist los? Wieso atmest du so schwer?«
»Ich war im Garten. Keine Sorge. Sie ist noch da. Sie hat sich eben wieder hingelegt. Was habt ihr bloß getrieben? November hängt völlig apathisch auf seiner Decke. Vorhin ist mir ein Stück Käse auf den Boden gefallen, und ich hätte es fast vor ihm erwischt.«
»Herrje«, sagte ich, und dann sagte ich nichts mehr. Mir fiel nichts ein, das ich noch hätte fragen können.
»Wir müssen uns ja nicht unterhalten«, sagte Mor.
»Ich rufe vielleicht später noch mal an.«
»Das denke ich auch.«
Sie küsste in den Hörer und legte auf. Für einen Augenblick blieb ich stehen und stellte mir vor, wie Nele warm und weich in meinem Bett lag.
Ich nahm eine Flasche Wasser aus meinem Fach. Auf der Kühlschrankinnenseite hing ein Zettel von Mattes. Wir sollten nicht so eine Sauerei für Gernot hinterlassen, damitder nicht so eine Sauerei für Mattes zurückließ. Ich nahm den Zettel mit ins Büro und klebte ihn auf Rokkos Monitor.
»Beschwerde.«
Er riss den Zettel ab, knüllte ihn zusammen und kickte ihn unter den Aktenschrank. Das war das Wildeste, was in den nächsten Stunden passierte. Es folgten ganze zwei Notrufe, exklusive dem Anruf des Jungen, der immer noch ficken wollte. Rokko ließ sich an den Protokollen aus. Ich sah wieder auf mein Handydisplay. Nichts. Ich beschloss, mich mit dem Stern abzulenken. Ich gähnte einen Artikel über Auslandsschulden an und versuchte zum hundertsten Mal, zu verstehen, wie alle Schulden haben konnten und die Weltwirtschaft dennoch funktionierte. Es fiel mir heute schwer zu verstehen, wieso ich das verstehen wollte. Ich dachte an Dalis Bild mit den geschmolzenen Uhren. Vielleicht hatte er es an einem Tag gemalt, an dem Gala zu Hause auf ihn wartete.
Kurz vor Mittag fiel das Unglück über den Landkreis her, wie am Anfang eines Stephen-King-Romans. Verkehrsunfälle mit Leichtverletzten, Haushaltsunfälle mit einem schwer Gestürzten, eine Schlägerei bei einer Schulsportveranstaltung, mehrere Diebstahldelikte, und dann kam der Anruf, den ich bereits erwartet hatte. Während ich einen Krankenwagen zum Baggerloch schickte, wo es einen kleineren Badeunfall gegeben hatte, lauschte ich mit einem Ohr zu Rokko hinüber, denn aus seinen Fragen ging hervor, dass ein Sommerhausbesitzer einen Einbruch in seinem Ferienhaus meldete. Anscheinend war nichts gestohlen worden, es gab aber Hinweise, dass die Einbrecher dort übernachtet hatten. Rokko beendete das Gespräch und griff nach seinem Handy.
»Was machst du?«
Er ignorierte mich und drückte auf seinem Telefon herum.»He, du Idiot, ich rede mit dir.«
Er hielt inne und funkelte mich an.
»Ich melde es Hundt. Einbruch in einem Sommerhaus am See. Es könnte die Bande gewesen
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